Mitte November (2006) hatte ich das Glück, für etwas mehr als eine Woche in Russland, genauer gesagt in Weißrussland und in der Russischen Förderation weilen zu dürfen. Anlass waren zwei Gothic-Festivals – eins in Minsk, eins in St. Petersburg, bei denen ich den Plattenunterhalter spielen sollte. Also reiste ich denn im Auftrage des Kultur Aktiv e.V. in einem ersten Schritt in die belorussische Hauptstadt – alles natürlich per Zug. Das ist immer noch der billigste und angenehmste Weg (es gibt auch noch einen Bus). Dort angekommen, nahm mich Irina, die Organisatorin des Festivals in Empfang und brachte mich zu ihrer Wohnung. Das Hochhaus lag mitten in einem Neubaugebiet, die anhaltende Beneblung (nicht meiner Person sondern der Umgebung) sorgte dafür, dass mir das Ganze eher trübe in Erinnerung blieb. Überhaupt leben die meisten Menschen östlich von uns eher beengt und es ist immer eine große Leistung, wenn sie sich unsereins auch noch in die Hütte holen. Wir sind da schon reichlich verwöhnt und unter 50 Quadratmeter pro Nase fühlen wir uns eingesperrt. Wohnen ist ein Luxus, den man sich auch leisten können muss…
Das Festival fand in einer recht lustigen Kneipe statt, auch dort waren die Platzverhältnisse eher beengt. Das Publikum marschierte pünktlich 18 Uhr in die Location, kurz nach Mitternacht war Schluss und alle gingen friedlich und ohne zu diskutieren nach Hause. Dazwischen waren drei Bands und drei DJs sowie zwei Performances zu bewundern – ich hoffe, ich habe niemanden vergessen, denn der Alkohol floss reichlich. Musikalisch war ich insgesamt nicht so glücklich, scheint es doch so, dass die belorussische Gothic-Szene sehr vom mitteleuropäischen Mainstream geprägt ist. Mein einstündiges Set aus diversen Power Electronics-, Industrial- und Noise-Zutaten sorgte daher nur für wenig Begeisterung, auch wenn meine Gastgeberin mir versicherte, dass die Leute interessiert zuhörten. Von den drei „Bands“ die auftraten gefiel mir vor allem Solaris, zwei Knöpfchenschrauber mit sehr angenehmen Sound.
Am nächsten Tag besichtigten wir noch ein wenig Minsk und auch da muss ich gestehen, dass ich nicht sonderlich angetan war. Sicher ohne Nebel wäre alles besser gewesen, doch die Stadt ist im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört wurden und daher von Stalin- und 70er-Jahre Zweckbauten geprägt. Es ist nicht immer angenehm, Deutscher zu sein. Von den jungen Menschen wird man jedoch nie Anklagen hören. Im Gegenteil, als Gast wird man stets zuvorkommend behandelt.
St. Petersburg hatte nicht nur architektonisch mehr zu bieten. Erst einmal wurde mir schlagartig klar, dass ich in einer Millionenstadt war: Überall Autos und Menschen, die durch die Gegend hasten. Überfüllte U-Bahnen, die hier Metro heißen, Lärm und Gestank. Das setzte mir eingangs sehr zu und so brauchte ich mehrere Tage, bis ich mit der Stadt einigermaßen „warm“ wurde. Anfangs war ich mir auch sicher, mich niemals in diesem ganzen Chaos zurechtfinden zu können, doch mit Hilfe eines Stadtplans und ein wenig Übung gelang es mir dann doch. Etwas nervig waren die fehlenden Straßenschilder, so dass ich oftmals sinnlose Wege in Kauf nehmen musste, bis mir auffiel, dass ich doch auf dem falschen Wege war. Wer dazu noch solch ein Orientierungskünstler ist wie ich, der hat es nicht leicht, allein klar zu kommen. Zum Glück kann ich wenigstens die kyrillische Schrift lesen, meine acht Jahre sozialistische Schulbildung waren jedoch von wenig Nutzen. Die St. Petersburger Freunde lachten meist über meine unglücklichen Versuche russisch zu sprechen, da ich mit der Betonung fast immer daneben lag und dabei häufig etwas Lustiges produzierte. Also stoppelte ich mich mit Englisch und gelegentlich mit Deutsch durch die Gegend. Wenn ich etwas kaufen wollte, musste ich es meist zeigen. Da wird einem erst einmal klar, wie sich ein des Deutschen Unkundiger hierzulande fühlt.
Das St. Petersburger Festival „Radio Inferno“ währte drei Tage. Ich durfte am ersten auflegen und das auch noch als allererster. Einigermaßen angepisst davon, spielte ich vor allem „böse“ Sachen, so dass der Raum meist leer blieb. Nach vollendeter Tat verließ ich recht schnell die Lokalität, einen riesigen Club, der sonst vor allem dem House-Publikum als Feierhalle dient. Das drückte sich auch darin aus, dass gegen halb 11 Unmassen Nicht-Goten ins Haus strömten und am Ende den Großteil des Publikums ausmachten.
Der zweite und dritte Festivaltag fanden in einer kleineren, sehr angenehmen Location statt, dem Zokolh-Club. Dort sah ich dann auch die Band, die mich am meisten beeindruckte: Theodor Bastard. Das Lustige daran war, dass ich seit Tagen bei der Sängerin wohnte und bis dato immer nur Fragmente der Stücke gehört hatte, denn ein Teil der Wohnung war Probenraum der Band. Das auf der Bühne Gebotene haute mich dann regelrecht aus den Socken und ich war mir sofort sicher, dass ich dem Ableben von Dead Can Dance keine Träne mehr nachzuweinen brauche.
Der letzte Tag des Radio-Infernos gehörte den Industrial- & Ambientprojekten und ich war endlich richtig angekommen. Mit ein wenig betteln durfte ich zwischen den Auftritten auflegen und die Musiker versicherten mir, dass ihnen meine Auswahl zusagt hat. Kosmodron, Bardoseneticcube, Kryptogen Rundfunk und Noise Of Russia gaben sich an diesem Tag die Ehre und ich war schwer begeistert ob der Qualität der Projekte und der angenehmen Zeitgenossen, die diese ins Leben gerufen hatten. So verbrachte ich denn einen schönen Abend mit interessanten Gesprächen, reichlich leckerem Wodka und viel guter Musik. Einziger Wermutstropfen: ein Schwachmat, der unbedingt seine hirnlose White-Power-Ideologie den Künstlern ins Gesicht plärren musste.
Am nächsten Tag machte ich mich auf den Heimweg. Nach vierzig Stunden Zugfahrt betrat ich wieder heimatlichen Boden, beseelt von der Erkenntnis, dass dies (nach Lage der Dinge) nicht mein letzter Besuch in Russland gewesen ist.
disorder
Mein Dank gilt dem Kultur Aktiv e,V., der die Reise möglich machte, sowie, Irina und Pavel in Minsk, Leonid und Aleksander in St. Petersburg, Yana & ihren Bandkollegen, Anja, Dima und allen anderen, deren Namen meinem schlechten Gedächtnis schon wieder entfallen sind.
Bilder von der Reise (bei flickr.com)
Ein Kommentar