Wiederbelebter Artikel von 2013
17. – 20. Mai 2013, Leipzig
Nachdem ich im letzten Jahr eine kleine Pause machte, war der diesjährige Besuch beim WGT fest eingeplant. Im Vorfeld hatte ich mir eine To-See-List erstellt, um auch ja nichts zu verpassen, was ich sehen wollte. Wie immer kam es letztendlich anders als gedacht.
Freitag
Nachdem ich am späten Nachmittag in Leipzig eingetroffen war, hieß es zuerst „das Bändel“ und die Fotoerlaubnis zu besorgen, wofür ich ins agra-Gelände musste. Nachdem das relativ schnell abgerubelt war, fand ich glücklicherweise einen Bekannten, der mich mit Auto mit zur Parkbühne nahm. Genau rechtzeitig, denn GITANE DEMONE, für mich wie immer eines der Highlights des Festivals, fing soeben an zu spielen. Nur begleitet von einem Herren an Keyboard und Gitarre gab die Ex-Christan Death Chanteuse mit sichtlicher Spielfreude ihre dunklen Barjazz-Songs zum besten. Zwar wäre eine verrauchte
Kneipe wohl die bessere Location dafür, doch letztendlich ist es mir egal, wo ich Frau Demone bewundern darf. Möge sie und ihr Schaffen uns noch lange erhalten bleiben.
Nach einer kurzen Pause enterten dann SEX GANG CHILDREN die Bühne. Während seine Mitstreiter mit Vandetta-Masken
bewaffnet waren, hatte Andy sich seine direkt ins Gesicht gemalt. Solcherart vermummt spielte die Band vor allem mir unbekanntes Material, was aber bei meinem diskographischen Bildungsstand auch nicht sonderlich verwundert. Trotzdem gefiel mir der nebelgeschwängerte Auftritt auch wenn ich nicht bis zum Schluss blieb.
Als nächstes zog es mich in den Volkspalast, wo ich mir die ungarischen ACTUS anschauen wollte. Allerdings trafen wir etwas zeitig ein, die Band spielte noch nicht. Als die aus manch Neofolk-Zusammenhang bekannte Truppe anfing zu spielen, wird mancher sicher etwas enttäuscht gewesen sein, denn ACTUS klangen eher nach Space Rock. Ich fand’s ganz angenehm, wenn auch nicht allzu viel hängen blieb.
Die nächste Station unserer Reise führte uns in die Moritzbastei, wo wir noch die letzten Stücke von DAS MOON mitbekamen. Die polnische Band mit attraktiver Sängerin spielt eine recht minimalistische Variante des Synthiepop, die unterkühlt ist und ohne viel Pathos auskommt, was bei mir eindeutig auf Gegenliebe stößt. Eine interessante Entdeckung war’s allemal.
Tanztechnisch konnte uns die Lokalität nicht so recht überzeugen, woraufhin wir über Städtisches Kaufhaus zur Villa weiterzogen, die ich gegen vier erschöpft und deutlich angeschlagen verließ…
Samstag
Ein für den Nachmittag anvisierter Besuch des Konzertes von Mädchenliebling Patrick Wolf musste dann leider ausfallen, wegen „zu spät aufgestanden“.
Nun gut, 17 Uhr den Anker zu erreichen, um ECHO WEST zu sehen, erwies sich hingegen als durchführbares Projekt. Der sympathische Coldwave / Synthiepop begleitet mich schon seit Jahren und ich schaue mir die Konzerte immer wieder gern an. Sänger und Bandchef Dirk wirkt zwar immer etwas leidend auf der Bühne, dafür ist er aber mit Herzblut bei der Sache.
Nach diesem schönen Start in den zweiten Konzerttag trat ich die Reise durch die halbe Stadt ins agra-Gelände an, um VELVET ACID CHRIST zu sehen. Nicht dass ich ein allzu großer Fan der Amis wäre, doch war selbst mir nicht die Begeisterung entgangen, die seine Musik bei der Electro / EBM-Fraktion hervorrief. Warum also nicht mal anschauen, wenn man schon Gelegenheit dazu hat. Eine Fehlentscheidung, wie sich vor Ort herausstellte. Erst ließ der „Samtene Säure Christus“ das versammelte Auditorium eine geschlagene halbe Stunde warten, dann betrat oder besser betorkelte er mit hochroten Augen die Bühne. Das war weder samtig noch christlich, maximal azid. Und auch optisch macht Herr Bryan Erickson nicht viel her. Aufgedunsen, verquollen und mit schütternem Haupthaar sah er nicht so aus, als wenn er seine
Drogenprobleme hinter sich gelassen hätte. Musikalisch lieferte er dann mit einigen Mühen das von ihm Erwartete ab, die Fans feierten, na dann ist ja alles gut. Ich wendete mich mit Grausen ab. Der Besuch im Heidnischen Dorf scheiterte zu diesem Zeitpunkt an kompletter Überfüllung.
In der Folge trat ich die Reise zum Alten Landratsamt an, wo ein folkloristischer Abend auf dem Programm stand. Dort durfte ich dann die recht imposante italienische Band IANVA in Augenschein nehmen, die mit allerhand Personal und Instrumentarium einen abwechslungsreichen, gelegentlich an die beste Zeit von Death In June erinnernden Sound auf die Bühne brachten. Ganz besonders in Erinnerung blieb mir die typische Morricone-Trompete und der Wechsel zwischen männlichen und weiblichem Gesangspart. Die Protagonisten standen dabei nicht etwa gleichzeitig auf der Bühne, sondern wechselten sich ab. Die Dame wirkte dabei wie eine Wahrsagerin vom Jahrmarkt, die aber gern auch den einen oder anderen Fluch ausführt. Insgesamt also ein recht eindrucksvolles Konzert von einer Band, die man im Auge behalten sollte.
Nachdem dies Ereignis hinter mir lag, besuchte ich kurz die „When We Were Young“-Party im Werk II, Halle A. Als „Kind“ der späten 80er, frühen 90er bin ich allerdings turnhallengeschädigt oder anders ausgedrückt: Die Atmosphäre des Raumes empfinde ich wenig animierend, da hilft selbst gute Musik nicht. So führte mich denn der Weg wieder ins städtische
Kaufhaus, wo ganz ordentliche Musik lief – beim Eintreten vernahm ich Rosa Crux, was mich sehr erfreute – weshalb wir dann einfach vor Ort versackten. Die morgendliche Fahrt (ich saß selbstverständlich nicht am Steuer des Autos) durch das neblige Leipzig gehörte definitiv zu den besonders schönen Momenten des Festivals.
Sonntag
Nachdem ich wieder reichlich an der Matratze gehorcht hatte, brach ich auf, um im schönen Gohlis in der Gosenschenke
einer Freundin zum Geburtstag die Aufwartung zu machen. Die Dame, die am Vorabend etwas zu heftig gefeiert hatte, erschien mit deutlicher Verspätung, was eine wachsende Gruppe an potentiellen Gratulanten allerdings nicht davon abhielt, dem Gosenbier, einer lokalen Spezialität, zuzusprechen.
Zugegebenermaßen ist das recht säuerliche Bier Gewöhnungssache, doch ziehe ich solch ein Charaktergetränk der norddeutschen Plärre vor, die die hiesigen Diskothekene dominiert und der man quasi nicht entgehen kann. Als dann die Befeierte eintraf, war es fast schon wieder Zeit, zum Anker aufzubrechen, um dort IRM zu huldigen. Allerdings begannen die Schweden ihr Set mit einstündiger Verspätung, weil die von vielen erwarteten Prurient ihren Auftritt abgesagt hatten und so der ganze Ablauf nach hinten verschoben wurde.
Das Warten lohnte sich jedoch – wie eigentlich immer bei IRM – denn der Schwedendreier steht für eine sehr persönliche und reichlich kranke Spielart des Industrial. Frontmann Martin Bladh leidet auf der Bühne, kotzt sich aus und verliert sich in seinen Psychosen, während die Hintergrundprojektion den Sänger bei schmerzhaften Selbsterfahrungen zeigt. Das ist wirklich Kunst und nicht nur Show.
Durch die zeitliche Verschiebung kam ich leider etwas spät im Landratsamt an, und konnte PANKOW nur noch aus der Ferne erleben. Das bereits mehr als reichlich gefüllte Gebäude und der heftige Nebel verhinderten, dass ich mich der Bühne nähern
und ein paar sinnvolle Fotos machen konnte. Soweit ich es mitbekam, lieferten die Italiener ein energiegeladenes Set ab, das anders als manche Warnungen behaupteten, nicht nur aus öder Stampferei bestand. Ich hoffe, ich habe irgendwo mal die Gelegenheit die Band unter besseren Bedingungen zu beobachten. Da die Atmosphäre bereits zu diesem Zeitpunkt kurz vor der Kotzgrenze war, wechselte ich mit einem Bekannten die Lokalität und schaute mir HALO MANASH im im Umbau befindlichen Central Theater an. Der handgemachte Dark Ambient der finnischen Zipfelmützenträger war eine angenehme,
entspannende Erfahrung nach all dem Lärm und der Hitze.
Leider machte ich dann den Fehler wieder ins Landratsamt zu wechseln und verpasste so, unwissend ob dem, was mir da entging, die großartigen SORIAH, deren Auftritt die anwesenden Freunde regelrecht euphorisierte. Nun ja, beim nächsten
Mal halt besser informieren…
Im völlig überfüllten Landratsamt enterten CASSANDRA COMPLEX dann bald die Bühne. Mit „Dion Fortune“ hatte das Allstar-Quartett um den charismatischen Frontmann Rodney Orpheus einen gigantischen Einstieg gewählt und ich sang begeistert im Fotograben mit. Die folgenden Stücke waren dann zwar OK aber auf Dauer fehlte dem ganzen aus meiner Sicht ein wenig die Spannung. Zu erwähnen sei an dieser Stelle noch, dass die Lautstärke vor allem im Bassbereich recht heftig war und ich froh, meine Ohrstöpsel zu tragen…
Noch vor Ende des Auftritts schnappten wir uns ein Taxi und düsten in den Volkspalast, wo wir eines der Highlights des Festivals erleben durften. Das britische Noise Rock Trio ESBEN AND THE WITCH überzeugten mit ihren dunkel-psychedelischen Weisen und der unbändigen Energie vor allem von Sängerin Rachel Davies auf ganzer Breite. Zudem versöhnte mich das begeisterte Publikum mit der Schwarzen Szene, zeigte dies doch, dass hier nicht nur stumpfes Bumm-Bumm auf Gegenliebe trifft. Phänomenal!
Nach diesem Highlight geisterten wir noch durch diverse Discos, von der Moritzbastei über das Kaufhaus zum Beyerhaus und zurück, so dass ich dann erst wieder recht „zeitig“ Ins Bett kam. Beim Beyerhaus stand ich übrigens die meiste Zeit draußen und quatschte mit Bekannten. Ehrlich gesagt kommen solche Momente bei einem Festival immer zu kurz, da man ja selbst vor allem ein ist: vergnügungssüchtig!
😉
Montag
Diesmal startet ich etwas früher in den Tag, schon so gegen 11, um mich später mit Bekannten zu treffen. Gemeinsam verweilten wir am Connewitzer Kreuz und schauten dann auch nochmal bei der Feinkostfamilie vorbei, bevor sich unsere Wege dann trennten.
Beim Frühstück unter freiem Himmel liefen uns dann auch diese beiden Gummipuppen über den Weg bzw. an uns vorbei. Was es nicht so alles gibt…
Da ich eine ganze Stunde zu früh wieder am Volkspalast war, nutzte ich die Gelegenheit etwas zu tun, was ich seit meiner Kindheit nicht mehr gemacht habe. Ich stieg auf die Aussichtsplattform des Völkerschlachtdenkmals.
Selbstverständlich aus eigener Kraft und ohne Zuhilfenahme eines Fahrstuhls. So alt bin ich ja noch nicht, auch wenn ich den Ehrgeiz mit der Durchfeuchtung meiner Kleidung bezahlte. Aber Schwitzen ist ja gesund ebenso wie körperliche Aktivität. Allerdings muss ich zugeben, dass der Alkoholabusus der Vortage nicht ganz ohne Auswirkung geblieben war. Ja, so ein Festival ist auch körperlich ein anspruchsvolles Erlebnis 🙂
Statt nun also, wie ursprünglich geplant, wieder von A nach B zu rennen, hatte ich mich entschlossen, bis zum Ende im Volkspalast zu bleiben, weshalb ich vielleicht etwas verpasst habe aber immerhin den letzten Tag noch etwas genießen konnte. Durch den Wechsel zwischen den beiden Sälen des Volkspalastes, Kantine und Kuppelhalle, wurden die Pausen dankenswerterweise kurz gehalten, was am letzten Tag nicht hoch genug eingeschätzt werden kann!
Der Genuss begann mit CIRCULAR einem Projekt des Leipziger L.O.K.I.-Labels. Wie nicht anders zu erwarten, brachten die beiden Herren (Knut Enderlein und Johannes Riedel, die auch bei Fjernlys zusammen musizieren), einen traumhaften Ambient mit sanft pulsierenden Beats auf die Bühne, eigentlich die ideale Musik, um zu entspannen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Volkspalast mal mit Stühlen ausgerüstet wird. Noch besser wären Strandliegen…
🙂
Der Auftritt von CONTRASTATE im Kuppelsaal gehörte dann zu den absoluten Höhepunkten meines diesjährigen Festivalaufenthaltes. Der charismatische Frontmann Jonathan Grieve zog das Publikum schnell mit seinem beschwörenden Sprechgesang in Bann, die beiden Herren an den Klangerzeugern rechts und links auf der Bühne, bildeten die Ruhepole des Geschehens. Die eigentümliche Mischung aus Pop, theatralischem Vortrag und mystischem Ambient, verstärkt durch vieldeutige Projektionen, begeisterte alle, die ich fragte und mich selbstverständlich auch. Schon krass, wenn man bedenkt, dass das Projekt schon seit 1989 existiert und Dank einer fast 15-jährigen Pause fast dem Vergessen anheim gefallen ist.
REFORMED FACTION aka Robin Storey (Rapoon) und Mark Spybye (Dead Voices On Air) kann dies eher nicht passieren, denn es gibt kaum umtriebigere Künstler als die beiden. Konzentriert, manchmal auch mit einem Lächeln im Gesicht, präsentierten sie ihre komplexe und doch eingängige elektronische Musik. Die abwechslungsreiche Klangkunst mit vielen ambienten Passagen lädt zu ebensolchem konzentriertem Zuhören ein. Da ist ein Festival vielleicht nicht immer der passende Rahmen, ein Sitzkonzert wäre da schon besser.
Bei genau solch einem Sitzkonzert im Nürnberger Planetarium konnte ich das letzte Mal PREDOMINANCE sehen, denen diesmal die große Bühne der Kuppelhalle zur Verfügung stand. Ein einzelner Mann in diesem Rahmen ist zwar etwas wenig, doch die Mischung aus Pop und Ambient entfaltet auch Dank der Projektionen ihre Wirkung.
Zu dritt standen dann ARKTAU EOS auf der Bühne, das Hauptprojekt der drei finnischen Musiker, die ich bereits als Halo Manash gesehen hatte (offiziell ist die Band allerdings ein Duo). In Erinnerung geblieben sind mir vor allem die seltsame
Verkleidung der Musiker mit Säcken über den Köpfen und die großen Schlangenfahnen auf der Bühne. Nicht zu vergessen
die rituellen Turnübungen der beiden Hauptprotagonisten. Musikalisch war Schlagwerk im Einsatz, dazu gab es ambiente, elektronische Sounds. So dolle beeindruckt hat mich das Ganze aber nicht.
Das Gleiche lässt sich über ULVER sagen, die mich ja schon einmal enttäuscht hatten. Soweit ich sehen konnte, war von der Band nur der singende Mützenmann (Kristoffer Rygg?) anwesend, der auch einmal das Mikrophon behauchte, sehr zum Schaden der Gesamtwirkung. Die Verstärkung aus etwa 30 Orchestermusikern brachte, wie erwartet, nicht viel, denn was die Profis da spielen durften war bestenfalls feinstes Pathosgedudel. Am besten zu ertragen, wenn man sich möglichst weit davon entfernte. Eine Meinung, mit der ich nicht allein war.
Nachdem wir das Ulver-Konzert vor der Tür stehend überstanden hatten, blieben wir noch eine Weile zur Neofolk-Disko,
um dann zeitig gen Bett aufzubrechen. Die Luft war eindeutig raus und eine weitere durchfeierte Nacht nicht mehr auf dem Schirm…
Na dann bis nächstes Jahr!