Um die 25 Bands in vier Tagen brachte die Crew des Wroclaw Industrial Festivals diesmal auf die Bühne, weniger als die Hälfte aus eigenen Gefilden, der „Rest“ international besetzt. Statt fand der Event an vier verschiedenen Orten, wobei der Sala Gotycka und das Stary Klaster im alten Mönchskloster die zentralen Spielorte bildeten.
Los ging es am Donnerstag mit dem gemeinsamen Auftritt von CENT ANS DE SOLITUDE und FLINT GLASS im DCF / Dolnoslaskie Centrum Filmowe. Der Ort – ein Kino am Rande des Innenstadtrings passte perfekt, schließlich hatten sich die französischen Musiker der Vertonung des Stummfilms „Sprengbagger 1010“ verschrieben. Aus meiner Sicht das sehr frühe Highlight des Festivals, sowohl was die Bildkraft des Films betraf als auch die post-industriellen bis technoiden Klänge zu seiner Untermalung.
Zur Spätabend-Show luden dann THROBBING WAFFLE in das Stary Klaster ein, die kleine Bühne des Hauptfestivals. Als Throbbing Gristle Cover Band angekündigt, machten die Polen ihre Sache ganz ordentlich, letztendlich fehlte es aber an der nötigen Portion Wahnsinn und Aggressivität.
Der Freitag begann mit den einheimischen GHOSTS OF BRESLAU im Stary Klaster. Der Dark Ambient war für meinen Geschmack etwas zu wenig abwechslungsreich, auch höre ich mir diese Art Musik lieber entspannt im Sitzen an.
Ebenfalls eher wenig aufregend gestaltete sich der Auftritt von AUTOPSIA. Die Gestaltung der Bühne mit riesigen Fahnen ließ es nicht zu, das der Musiker zu sehen war und so starrte das Publikum auf eine fast bewegungslose Bühne, auf der ein paar Gobo-Lichter über die Fahnen tanzten. Ich hatte mir, bewusst der Tatsache, das Autopsia nicht gerade für Ausraster bekannt sind, zumindest eine schöne Projektion gewünscht. Nun ja, leider nicht. Musikalisch gab’s an dem Klassik-Bombast nichts auszusetzen, nur hätte da auch eine CD abgespielt werden können.
Die Hausherren JOB KARMA machten dann alles richtig: Zu dritt auf der Bühne und mit den fantastischen Videos von Arkadiusz Baginski im Hintergrund, überzeugten sie das Publikum vor allem mit Material des bislang letzten Album „Society Suicide“. Die Künstler werden mich vielleicht dafür schlagen aber ich nenne das Ganze anspruchsvollen Synthie Pop…
Der Gig von DREW McDOWALL krankte dann wieder etwas an der visuellen Umsetzung – ein Mann auf einer riesigen Bühne, Knöpfchen drehend. Auf der kleinen Bühne hätte das sicher funktioniert, so verlor sich der experimentelle elektronische Sound ein wenig im Raum, da helfen auch keine Coil und Psychic TV Referenzen.
Etwas müde gestaltete sich auch der Auftritt von SKIN AREA. Das änderte sich erst als sich Magnus hinters Schlagzeug setzte und Sänger Martin die Energie entwickelte, die man von ihm von seinen Auftritten mit IRM her kennt.
Ebenfalls nicht ganz überzeugend war der Auftritt von NURSE WITH WOUND. Die Mannen um Steven Stapleton hatten sich einen Sänger und Bodhran-Spieler dazu geholt, der aber nicht so recht mit der abstrakten elektronischen Musik harmonieren wollte, auch weil sein Instrument kaum zu hören war. Ich gedachte des tollen Auftritts in der Berliner Sophienkirche und verdrückte mich.
Die Langeweile prügelten dann GRUNT aus mir raus – im Moshpit bei den Finnen ging es ordentlich zur Sache. Chapeau an die Damen mit halbem Kampfgewicht, die sich zu den brutalen Power Electronics Klängen zwischen die Schrankwände warfen. Überlebt haben es alle Beteiligten, wenn auch mit leichten Blessuren.
Friedlicher, wenn auch nicht weniger energetisch ging es bei den belgischen HYPNOSKULL zu. Wider Erwarten fand ich mich zum Rhythmus Industrial auch auf der Tanzfläche, eventuell motiviert durch die RAF Thematik des Gigs, zu dem die entsprechenden Bilder über die Leinwand flackerten.
Den Samstagabend eröffneten die polnischen KAKOFONIKT, indem sie zu dritt zahllose Klangerzeuger bearbeiteten und die Klänge elektronisch verfremdeten. Dabei ergab sich ein recht abstrakter, noisiger Sound, der zumindest zeitweise fesselte. Leider war in den hinteren Reihen, wo ich stand, wenig vom Geschehen auf der Bühne zu erkennen.
Auf den nun folgenden Auftritt von SIELWOLF & NAM-KHAR hatte ich mich besonders gefreut, gerade weil mir klar war, dass das Projekt eher nach NAM-KHAR als nach SIELWOLF klingt, deren früheren, harschen Elektrosound man gar nicht mehr hört. Zu fünft produzierten die Musiker mit Elektronik und Gebein einen rituellen Sound nahe am Ambient, wobei sich das Gesamtklangbild durch den Live-Einsatz des Schlagzeugs dynamischer als auf dem Tonträger gestaltete. Der Schlagwerker selbst stellte für mich das visuelle Highlight des Auftritts dar, bot er doch eine gehörige Portion Besessenheit, die noch einmal richtig deutlich bei seiner Sangeseinlage beim letzten Stück zum Ausdruck kam. Für mich war dieser Auftritt eines der Highlights des Festivals.
Mit TRIARII habe ich schon immer ein wenig Bauchschmerzen, da die martialische Musik kriegsverherrlichend auf mich wirkt. Auf der anderen Seite kann ich mich dem Pathos und der Kraft der Klänge kaum entziehen. Lässt man diese Seite des Selbstzweifels mal weg, so war der Auftritt auch Dank des energetischen Drummings von Nicolas Van Meirhaege (Empusae) nur als gelungen zu bezeichnen und Mastermind Christian Erdmann hatte sichtlich Freude am Ausleben seiner Megalomanie.
Es folgten INADE, die zu meinen liebsten Ambient Projekten gehören. Die Musik der Leipziger ist stets mystisch aufgeladen und erzeugt eine Stimmung, die den willigen Hörer in komplett andere Dimensionen beamt. Wesentlich trägt dazu das verwendete Bildmaterial bei. Diesmal gelang es Inade aber nicht so recht. Mich in ihren Bann zu ziehen, auch wenn ich den ganzen Auftritt über in einer der ersten Reihen ausharrte. Wahrscheinlich lag es einfach daran, dass ich noch nicht so vertraut mit dem neuen Programm war, allerdings fehlte mir auch ein wenig die Kraft früherer Auftritte.
Ähnliches lässt sich über EMPUSAE sagen, gehörte das Projekt doch lange Zeit für mich zu den wenigen Rhythmus Industrial Vertretern, mit denen ich etwas anfangen konnte. Leider hat sich Nicolas entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen und sich mehr dem Ambient zugewandt. Sein Set glich dem beim WGT in Leipzig aufgeführten. Nicht schlecht aber auch nicht wirklich beeindruckend. Mit hat der alte Stil besser gefallen.
Einer der Headliner des Festivals waren THE YOUNG GODS aus der Schweiz, eine Band die mir bisher nur vom Namen her bekannt war. Musikalisch boten die mittlerweile ergrauten Götter einen angenehmen Industrial Rock; ganz nett anzuhören aber ohne den nötigen Kick. Das mag auch daran gelegen haben, dass die Herren ihre Gitarren nur sampleten, statt sie zu spielen. Ich schaute mir vier, fünf Songs an und verließ dann den Raum in Richtung Tränke.
Der Finne JAAKKO VANHALA ließ dann alle aufkommende Langeweile schnell vergessen. Mit harschen Klängen aus processed metal trieb er die Geräuschfanatiker in die Ekstase, die mit einem starken Bewegungsdrang verbunden war. Nun habe ich schon oft solche Konzerte gesehen, doch kaum jemand versteht es so gut wie Vanhala, kranken Sounds eine solche Dynamik zu verliehen. Absolut geil! Lustig, dass der Mann sonst vorwiegend in ruhigen Gefilden unterwegs ist.
Den Abschluss des Abends bildeten THIS MORN OMNIA, deren Auftritt ich recht schnell verließ, drängte sich mir doch die Frage auf: „How Much Is The Fish?“. Ich hätte lieber Tribal statt Großraumdiskotheken Techno gehört. Pech gehabt…
Der Sonntag in der Alten Brauerei (Stara Piwnica) war den polnischen Bands vorbehalten. Als wir etwas verspätet vor Ort eintrafen, spielten gerade BY THE SPIRITS, ein Neofolk Projekt. Ein Mann mit Klampfe wird schnell langweilig, doch Michal Krawczuk machte seine Sache ziemlich gut. Mit der Coverversion von Coils „Fire Of The Mind“ hatte er mich endgültig im Sack. Sehr schöner Auftritt.
Die darauf folgenden KAFEL hätte man sich glatt knicken können. Ich kam mir echt veralbert vor, als schon beim zweiten Song billigste Elektrosounds aus den Boxen drangen. Als ob dies und der unmotiviert auf der Bühne herumhampelnde Sänger noch nicht genug wären, wurde das Schau(er)spiel von klatschenden Fans zum Ballermann-Contest vervollständigt. Ich suchte mir daraufhin einen Platz, der möglichst weit von der Bühne und der gruseligen Band entfernt war. Später wurde die Musik wieder etwas erträglicher, gut wurde sie jedoch nie.
Da die Noise Maker von Maaa! ausfielen, durfte VILGOC ran uns so gab es wieder eine Harsh Noise Wall mit Gruppenkuscheln. Da ich diesmal etwas feiner gekleidet war, blieb ich auf meinen Hinterläufen stehen und schaute zu, wie sich erwachsene Männer übereinander rollten, anstelle mich im Knoten der Liebesbedürftigen am Boden zu wälzen.
Zu guter Letzt durften sich ALLES noch austoben, diesmal auf der Bühne. Der angepunkte Minimal Sound war zwar teilweise etwas arg konstruiert, doch der hyperaktive Sänger und die eigentlich typischen Industrial-Bilder im Hintergrund (Krieg, Polizeigewalt, Massentierhaltung, Umweltzerstörung…) gestalteten den Auftritt hinreichen interessant, um ihm zu folgen. Nicht 100% meins aber ALLES in allem nicht schlecht 🙂
Der Abend klang dann wie gehabt mit einer wilden Disko und viel Schnaps aus, so dass der Abschiedsschmerz von diesem Festival erst mit reichlich Verzögerung einsetzte…