15 Jahre club|debil

Vielfalt durch Einfalt!

Die Wurzeln des club|debil reichen bis ins Jahr 1995 zurück. Damals saß ich mit einem Freund beim Bier im Studentenclub Aquarium und ich als Joy Division-Fan philosophierte darüber, dass man zum 15. Todestag von Ian Curtis eigentlich eine Party zur Erinnerung an den Sänger veranstalten müsste. Besagter Freund meinte daraufhin: Ja warum stellst Du das nicht selbst auf die Beine? Ja warum eigentlich? Weil ich das bis dato noch nie getan hatte?

Wie alles anfing

Mit der Unterstützung einiger Freunde, die im Metier schon Erfahrungen vorweisen konnten, brachten wir dann die erste Joy Division-Party im heute legendären Club Panzerhof über die Bühne; ein Ereignis, an das sich die, die dabei gewesen sind, noch heute gern erinnern. Der erste Schritt war getan und in der Folge betätigte ich mich vermehrt als DJ in der Schwarzen Szene mit Stationen wie Semperclub, Bunker, Nickern oder U-Boot. Ein Meilenstein dieser Entwicklung war sicher die erste Black Christmas-Party im Tusculum, die damals das Ziel verfolgte, die verschiedenen Veranstalter der Szene zusammenzubringen und damit auch zu einer besseren Zusammenarbeit zu bewegen. Gelungen ist dies nur bedingt…

Auch wenn die Schwarze Szene noch lange im Mittelpunkt meiner veranstalterischen Arbeit und als DJ stand, stellte sich bald einige Unzufriedenheit bei mir ein. Musikalisch entwickelte sich der Mainstream der Gruftis hin zu dem, was ich – als jemand, der in der Independent-Szene sozialisiert wurde – stets verabscheut habe: Stereotype statt Originalität, falsches Pathos statt echtes Gefühl, Anstreben des kommerziellen Erfolges anstelle des Umsetzens künstlerischer Visionen. Nicht dass die Schwarze Szene da anders als andere Szenen gewesen wäre aber genau das war ja das Enttäuschende.

Zum Glück gab es aber auch stets andere Bands, die nicht nur mich mit ihrer Musik berühren konnten und die fanden sich meist in den „Randbereichen“ des Apocalyptic Folk, Industrial oder Metal. Über diese Spezialisierung hinaus, spielte und spielt Musik für mich eine zentrale Rolle im Leben und kein Tag vergeht, an dem ich nicht bewusst eine MC oder CD ein- oder eine Platte auflege (Radio ist meist langweilig und die elektronischen Speicherformen spielen bei mir kaum eine Rolle. Oldschool eben). Dabei war mein Geschmack schon immer recht breit, von Abba bis ZZ Top oder um es stilistisch breiter aufzufächern: von Madonna bis Masonna. Diese Vielfalt dem Publikum zu präsentieren, war auch der Anlass, gemeinsam mit dem in Dresden bekannten und noch immer aktiven DJ Cyberpunk den „tanz debil“ ins Leben zu rufen. Der einem Titel der Einstürzenden Neubauten entlehnte Name der Veranstaltung sollte das „Tanzen“ – Hauptzweck einer Diskothek – mit dem debilem, also dem eher Unformatierten, Unerwarteten zusammenbringen. Unterhaltung mit Anspruch sozusagen. Sehr lange Dauer war dem Projekt, das seine Inspiration privaten Feten verdankte, bei denen tatsächlich „alles querbeet“ gespielt wurde, leider nicht beschieden. Quasi zum Trost ergibt sich auch heutzutage für mich gerade im privaten Rahmen immer mal wieder die Möglichkeit, genau diese Art von „tanz debil“ zu zelebrieren und dann macht mir das Auflegen besonders viel Spaß.

Vielfalt durch Einfalt!

Disko, Disko und das war alles?

Das Dilemma einer Disko war für mich stets der Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zum einen ist es gerechtfertigt, dass ein Gast erwartet, gut unterhalten zu werden. Auf der anderen Seite hatte ich stets ein Problem mit der Forderung des Publikums, genau diesen oder jenen Titel zu spielen. Sicher, nicht jeder gute Song ist ein Ausbund an Originalität, und über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es in jeder Subszene nur wenige entscheidende Bands gibt, dazu kommt noch ein kleiner Prozentsatz an guten Vertretern des Genres. Den Rest machen meist wenig inspirierte Plagiatoren aus, die in erster Linie den sozialen Kitt und das Prestige einer Szene schätzen, tatsächlich aber kaum etwas Eigenes beizutragen haben. Warum sollte ich mir die 35te Kopie einer guten Band anhören, warum mich überhaupt mit dieser Musik beschäftigen, wenn es da draußen einen unendlichen Kosmos spannender Klänge zu entdecken gibt? Weil ich als DJ in erster Linie Dienstleister bin? Muss ich diese oder jene Band gut finden, weil sie sich im Rahmen (m)einer Szene bewegt oder ist es nicht viel sinnvoller, sich mit der Musik zu beschäftigen, die mir zusagt? Für mich ließ sich diese Frage immer leicht beantworten, auch wenn dies manchmal schmerzhafte Konsequenzen hatte, denn nicht überall kam dieser uneinsichtig-debile Stil gut an.
Das verstärkte wohl eher noch das Interesse an extremen Sounds und über diese gemeinsame Präferenz formierte sich langsam ein DJ-Team (mit Martyn Flesh und Menticide), das diese Vorliebe gezielt auslebte. Da wir nicht ständig auf Großereignisse wie das Schwarze Dresden warten konnten und wollten, organisierten wir zunehmend eigene Veranstaltungen, um „unsere Musik“ spielen zu können. Eine der ersten fand am 3. Januar 2004 im Keller des „Labors“ statt, einer kleinen, halboffiziellen Kneipe, die nur kurze Zeit existierte. Hier kam erstmals der Name club|debil zum Einsatz, der sich vom Fanzine „debil“ ableitete, das von 2000 bis 2003 in gedruckter Form erschien. Die Website club-debil.com, unter der auch die anderen Aktivitäten des clubs zusammengefasst werden, ist die elektronische Fortsetzung dieses Fanzines.
Kurze Zeit nach dieser ersten club|debil-Party wurde auch der Sunday ChillOut ins Leben gerufen, der lange Zeit seine Heimat in Katys Garage hatte. Diese Veranstaltung diente zum einen als Treffpunkt des Freundeskreises, zum anderen aber auch als Möglichkeit, experimentelle Musik zu spielen, die nicht „tanzbar“ ist. Bis heute hat der Sunday ChillOut seinen festen Platz am letzten Sonntag im Monat behalten; eine gute Gelegenheit, sich gegenseitig interessante Neuveröffentlichungen vorzuspielen oder Schätze aus der Plattensammlung. Einzige Bedingung dabei: Die Musik sollte eher einen ruhigen Charakter haben, damit sie sich zum „chillen“ eignet.

Vielfalt durch Einfalt!

Live is Live

Eine wichtige, interne Diskussion drehte sich für mich stets darum, dass die Schwarze Szene in ihren Anfangstagen alles andere als „just another dance thing“ war (*1). Zu einer lebendigen Musikszene gehörten und gehören für mich auch immer Konzerte. Die zu veranstalten schien anfangs ein kaum zu lösendes Problem, schließlich brauchte man dazu neben einer geeigneten Location Einiges an technischem Wissen. Doch Markus Köhring zeigte mit seiner Extremen Ton Anstalt, dass es möglich war, experimentelle Musik auf die Bühne zu bringen und das gab mir den Antrieb, es selbst zu versuchen. Bei der Premiere im Juni 1999 sorgte Mitveranstalter „Rosi“, der den Ort des Geschehens, den Club Müllerbrunnen leitete und als Techniker betreute, für das entsprechende Know-how. Später fand ich Unterstützung bei den Machern des AZ Conni, der Nachtcantine oder der Straße E; bei Technikern des Hauses oder Dienstleistern, die für einen schmalen Taler ihre Hilfe anboten. Apropos Hilfe: Während ich bei meinem ersten Konzert noch selbst am Einlass saß, übernahmen in der Folge immer wieder Freunde diese und ähnliche Aufgaben, kümmerten sich um Auf- und Abbau, den Tresen, das Catering und all die anderen Dinge. Insbesondere die Partys im Schloss Nickern, bei denen nicht selten die komplette Infrastruktur erst geschaffen werden musste, trugen dazu bei, dass eine echte Gemeinschaft entstand, die heute die Basis des club|debil bildet.

Anfangs organisierten wir neben allerhand Partys ein bis zwei Shows im Jahr. Das änderte sich erst mit der Sprungschanze, einem kleinen Club auf der Rudolfstraße. Hier in der Dresdner Neustadt brachte der club|debil erstmals regelmäßig Künstler auf die Bühne. Leider währte auch diese Episode nur kurze Zeit, denn die Betreiber des Ladens mussten ihr Projekt aufgeben. Eine mehr oder weniger glückliche Fügung führte uns in die Alte Feuerwache, wo der club|debil seit Ende 2005 sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Im Veranstaltungskeller des Hauses lassen sich die kleinen Konzerte ohne gigantischen Aufwand und ein allzu großes finanzielles Risiko durchführen. Dank dieser Rahmenbedingungen nahm die Frequenz der Veranstaltungen deutlich zu; zusätzlich zu den typischen Feten können Interessierte hier aller zwei bis drei Monate Künstler aus dem breiten Feld der experimentellen Musik in einer fast schon privaten Atmosphäre erleben. Musiker aus ganz Europa, aus Australien, Singapur, Japan, Kanada, Chile und den USA gaben sich bereits die Ehre bei club|debil-Konzerten. Neben der Alten Feuerwache bespielten wir aber auch weiterhin Locations wie Ostpol, Sabotage oder SkullCrusher.

Vielfalt durch Einfalt!

debil or not to be

Wer den Bericht aufmerksam gelesen hat, wird festgestellt haben, dass es eigentlich nicht den einen Startzeitpunkt für den club|debil gibt. Die erste selbstorganisierte Party, das erste Konzert oder die Einführung des Namens – was wiegt am schwersten? Aus persönlicher Sicht hätte auch die Herausgabe des ersten „debil“-Fanzines in dieser Reihe auftauchen können, markiert es doch den Beginn einer intensiveren Beschäftigung mit experimenteller / Industrial / Noise Musik. Letztendlich ist dies aber unbedeutend; was vielmehr zählt, ist die Tatsache, dass die Kultur, für die der club|debil eintritt und die sicher nicht jedermanns Sache ist, überhaupt stattfindet. In Zeiten zunehmender Vereinheitlichung und Kommerzialisierung aller Lebensaspekte braucht es Nischen wie diese dringender denn je. Das „Debile“, die eigene „Beschränktheit“, die sich – und sei es auch nur auf musikalischem Gebiet – in der Ablehnung der Konsumkultur und im Festhalten am eigenen, gern auch absonderlichen Geschmack manifestiert, stellt im Überfluss der Reize keine „Behinderung“ mehr da, sondern eine Gabe. Wichtiger als die Jagd nach dem neuesten Trend oder der Vergötzung des angesagten Stars ist das eigene Empfinden – berührt mich diese Kunst oder nicht, bereichert sie mein Leben oder verbrennt sie nur meine Energien?
Ob dies bei unseren club|debil-Veranstaltungen der Fall ist, muss jeder für sich entscheiden; wir selbst unterbreiten nur ein Angebot. Solange es noch ein paar Musikbegeisterte gibt, die daran Interesse haben, solange wird es auch den club|debil geben. Auch dann, wenn die Infrastruktur für nicht stromlinienförmige Kultur weiter so schwindet, wie bisher. Dann richten wir uns halt im Untergrund ein, denn dort fühlen wir uns schon immer am wohlsten…

 

Vielfalt durch Einfalt!
disorder | club|debil headquarter

 

Danke an: Martyn, Mike, Gasi, Daniator, Luis, Siggi, Birgit, Balog, Claudia, Daniel, alle Erics, Ina, Andreas, Boxi, Markus, Detlef, Eini, Robert, Lenin, Björn, Lars, André, Ben…

Vielfalt durch Einfalt!

*1 Sicher, manches wird rückblickend wohl auch verklärt, doch Fakt ist, dass es einstmals auch zum Szenedasein gehörte, sich mit oftmals abseitiger Literatur und Filmen auszukennen, über die man sich dann auch austauschte. Man traf sich auf Friedhöfen bzw. besuchte diese allein, nicht weil man das als „Knochenlutscher“ halt so macht, sondern weil man die Stille und die Atmosphäre des Ortes schätzte und hier ungestört im Angesicht des Todes über den Sinn des Lebens nachdenken konnte (und nicht wie so oft kolportiert, seine Todessehnsucht pflegen). Vieles davon existiert zumindest in einem Teil der Szene im privaten Kreis weiter, die typische Veranstaltung heutzutage unterscheidet sich jedoch kaum von dem, was als „Club-Kultur“ bezeichnet wird: wummernde Beats, reichlich Alkohol (oder andere Stimulanzien) und mehr oder minder alberne Balztänze. Sicher, dafür muss es auch Platz und Gelegenheit geben aber das kann doch nicht alles sein, oder?

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