Hallo Mädchen June,
möchtest Du Dich allen, die dich noch nicht kennen, einmal vorstellen?
Zu meiner Person gibt es nicht viel zu sagen.
Du machst jetzt seit 20 Jahren ungewöhnliche elektronische Musik unter den verschiedensten Projektnamen. In einem Interview, das wir vor einigen Jahren geführt haben, sagtest Du, dass der Mangel an Musik, die Du magst, der Auslöser war. Hat sich in den vergangenen Jahren an Deiner Motivation etwas geändert?
Damals war es auch ein Interview mit Augenzwinkern. Es gab schon zu der Zeit Projekte, die ich mochte. Der Anlass war eher der, das ich es selbst probieren wollte. Über die Jahre hat sich daraus etwas Großes entwickelt.
Du hast für Deine Musik auch gleich ein eigenes Label gegründet, Vernom Laternenlicht Produktion. Zum einen: Wofür steht der recht ungewöhnliche Name?
Der Name ist eigentlich nicht von Bedeutung. Nur das Laternenlicht ist etwas persönliches, weil ich Laternen mag. Ich mag das diffuse Licht im Dunkeln. Und die Schönheit von Laternen.
Zum anderen: Warum hast Du das Label gegründet?
Ich wollte der ganzen Sache einen Rahmen geben. Geplant war schon, sich mit anderen Künstlern zu vernetzen. Das habe ich aber nach einer kurzen Arbeit mit einem anderen Künstler verworfen, weil wir künstlerisch nicht gut miteinander kommuniziert hatten. Da ich aber schon ahnte, das die Sache nicht nur ein Projekt sein wird und es zu einer Art Multimedia-Plattform entwickelte, war und ist es gut, dass sich ein Label dahinter befindet. Also so eine Art Haus.
Wie arbeitet das Label konkret und was möchtest Du erreichen?
Das ist sehr verschieden. Über die Jahre habe ich immer mehr dazu gelernt und bewege mich vorwärts. Zur Musik sind die Kurzgeschichten und ganz besonders die Filmclips gekommen. In der Regel gehe ich immer sehr methodisch vor. Zuerst die Geschichte als Skizze, dann das Album und danach ein Film. Das sind in der Regel die Bestandteile einer Veröffentlichung. Bevor ich im Kopf die Idee entwickle, mache ich ein Poster, welches ich aufhänge und das mir immer wieder klar macht, was ich zu tun habe.
Was hat sich in den 20 Jahren an Deinem Vorgehen und Deiner Labelpolitik geändert?
Ich gehe sehr viel ernster und professioneller vor, ich lasse mir lange Zeit und bin auch unnachgiebig bei der Selektion und Bewertung meiner Arbeiten. Ich mag den Gedanken, das, was ich mache, auch wieder frei zur Verfügung zu stellen. Bei Bandcamp ist alles als kostenloser Download erhältlich. Wenn andere Künstler es verwenden, möchte ich nur eine Namensnennung. Im Großen und Ganzen vertrete ich den Open Source Gedanken.
Würdest Du auch andere Künstler veröffentlichen und warum / warum nicht?
Wenn ich überzeugt werde, dann ja.
Kommen wir zurück zu Dir als Musikschaffenden. Warum benutzt Du verschiedene „Identitäten“ als Träger Deiner Musik. Unter einem „werblichen“ Aspekt ist das ja eher ungünstig, sich nicht auf eine „Marke“, einen Namen zu konzentrieren.
Ich wollte mir mehr Freiraum schaffen. Damals sollten die Arbeiten verschiedenartig sein. Unterschiedliche Projekte mit unterschiedlichen Biografien. Hinter VernomLLP steht ja eine grundlegende Idee: Es geht um die Erfindung der elektronischen Musik. Da gibt es verschiedene Epochen, unterschiedliche Charaktere. Natürlich ist das alles fiktiv. Aber daher ist das Erzählen so unerschöpflich.
Worin unterscheiden sich die verschiedenen Entitäten?
Zum einen hinsichtlich der Zeiten. Bei mir geht es 1816 los und hört in den 1960ern auf. Chaim Nepulu ist das erste Projekt und da letzte ist Vivian Gabin. Jedes Projekt hat einen eignen Sound. Nicht allzu groß, aber im Kontext ihrer Zeit schon anders.
Die berühmt-berüchtigte Frage an alle Kunstschaffenden: Welche Kunst hat Dich beeinflusst?
Vieles. Ich bin mit Filmen und Videospielen groß geworden. Besonders haben mich der Sound zu Silent Hill 1 und 2 (Akira Yamaoka) und Resident Evil 1 und 2 beeinflusst. Dann fing ich an, Luboš Fišer und Eduard Artemjew zu studieren. Weiter ging es mit Filmen und Serien wie Twin Peaks, die früheren Columbo-Filme, Hellraiser und alles was es an Grusel- und Horrorfilmen gab. Ich höre gerne Soundtracks. Ich bin im Musikalischen immer ein Wanderer. Ich höre viele unterschiedliche Genres. Es gibt einen Titel von Kilian Camera „Der Tote Liebknecht“. Der Track ist kurz, aber ich versetzte mich immer wieder in diese Zeit. Kalter Januar, düstere Hinterhöfe, Geruch nach Kohlefeuer. Da ich ein großer Filmfan bin, würde es jetzt den Rahmen sprengen, alles aufzuzählen. Ich hatte letztens mal wieder „Picknick am Nachmittag“ gesehen von Peter Weir. Den fand ich sehr gut. Ich war total froh, dass ich endlich nach Jahren den polnischen Film Pharao auf DVD bekommen habe. Auch Alltagsgeräusche inspirieren mich sehr. Da muss man kein Konzert besuchen. Wenn man aufmerksam hört im alltäglichen, findet man sehr interessante Sachen.
Welches Projekt würdest Du gern einmal umsetzen, wenn Du genügend Zeit hättest und es auch keine anderen Beschränkungen gäbe?
In Dresden Reick gibt es einen Kaufland. Der hat viele Kühltruhen. An manchen Tagen machen diese sehr unterschiedliche Geräusche, geben eine ganz eigene Art von Sound ab. Besonders wenn man um die Truhen herumläuft. Mein Traum war es immer, daraus eine Art Performance zu machen mit verschiedenen Leuten. Ich würde durch die Gegend reisen ohne Kamera, nur mit einem Tonaufnahmegerät. Anstatt Bildern eine Klang-Aufnahme von einem bestimmten Ort zu machen und diese Datei mit Koordinaten versehen. Und nach einer gewissen Zeit diese Aufnahmen zu verarbeiten.
Im ersten Interview hast Du gesagt, dass Du keinen Sinn darin siehst, live aufzutreten. Hast Du Deine Meinung inzwischen geändert?
Live ist es nie. Ich habe einmal in der Alten Feuerwache einen Film gezeigt. Die Filme waren von mir und auch der Sound. Live ist schwer umzusetzen, wenn man es richtig machen will. Aber am 25.12., beim „Weihnachten in der Familie“, werde ich etwas live spielen.
Ganz aktuell hast Du unter dem Namen Parma Day das Album „Die Abreise“ veröffentlicht. Sehr lebensbejahend ist das Ganze nicht. Kannst Du uns etwas dazu sagen? Wer verabschiedet sich wovon?
VernomLLP ist nie etwas Fröhliches gewesen. Außer mein Nebenprojekt „The Honor to fail“.
Ich habe ja auch fast nur Themen, die mit einer gewissen Traurigkeit behaftet sind. Sie haben auch immer eine gesellschaftskritische Aussage. Obwohl ich nie politisch sein wollte, kommen hier und da entsprechende Aussagen.
Parma Day, „Die Abreise“ ist einfach die Fortsetzung zu dem Album „The Depressive Appletree“. Es gibt dazu eine Geschichte. Die Macher von Parma Day haben sich auf eine Reise nach Parma begeben. Der erste große Aufenthalt ist in Apfelstadt. Sie treffen auch im benachbarten Ort Ynerp auf The Neverland Stars (Sarah Weizmann und John Wilbur), welche dort ein Konzert gaben. Da Parma Day (Erich Zann und Jud Skarlet) weiterreisen in Richtung Parma, ist die Geschichte der Abreise entstanden. Zu dem Projekt kamen noch drei kleine Auskoppelungen namens „Christmas in the morgue“. Das sind Geschichten, wo beide über ihre Zeit als Helfer in einer Leichenhalle in Apfelstadt berichten.
Du hast lange Zeit auch CDRs genutzt. Wird es die wieder geben oder gar „hochwertigere“ physische Releases?
Das mit den CDRs war auch der Grund, warum ich anfing, das Basteln und kreativ Sein. Leider ist eine CDR nicht langlebig. Das ist schade. Eine richtige CD ergibt wirtschaftlich keinen Sinn. Online bin ich auf Bandcamp. Ist zwar auch nicht mein Ding, aber die Leute kaufen keine CDs mehr. Es hat sich Vieles geändert und nicht unbedingt zum Guten. Viele Plattformen beuten Musiker aus. Außerdem kostet es zu viel, da geht es los mit Werbung, Vermarktung und so weiter. Dafür bin ich nicht bekannt. Auch wenn ich zu 20 Jahren Vernom ein „Best of“ herausbringen wollte; es ergibt keinen Sinn.
Was sind Deine musikalischen Pläne für die nahe und die ferne Zukunft?
Weiter ausprobieren und einfach machen. Solange es noch einen Sinn ergibt. Pläne sind genug da. Ich möchte ein Buch herausbringen, der erste Teil ist schon fertig. Es geht um Menschen und Fantasiewesen, die sich in einem alternativen Dresden bewegen und auf der suche sind nach etwas. Die Geschichte muss nur noch lektoriert werden. Das ist bisher das größte Projekt. Ich habe in den Jahren viele Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben, das gilt für mich in Zukunft weiter zu betreiben. Ich will auch noch weitermachen mit einem Langzeitprojekt. Ich habe über die Jahre Clips erstellt, die in Dresden von mir aufgenommen wurden. Jeder Clip mit eigenen Sound, es sollten fünfzig Stück werden. Jeder unter einer Minute. Jetzt lebe ich nicht mehr in Dresden, daher ist etwas schwierig. Doch es wird weitergemacht.
Und zu guter Letzt: Wie sehe das Leben aus, wenn Mädchen June die Weltherrschaft an sich gerissen hätte?
Ich musste gerade an Pinky und Brain denken…
Schwere Frage. Ich würde meine Untertanten und mir den Suizid verordnen. Dann hätte die Erde die Möglichkeit, ein guter Ort zu sein ohne Kriege, Dummheit und Ausbeutung. Ich weiß es nicht. Ich sehe mich nicht als jemand, der Macht haben will. Egal was man für Absichten hat, es geht nach hinten los. So läuft es immer. Die aktuelle Situation zeigt es ja. Man will was Gutes tun aber wird immer extremer. Worte werden heute um so mehr auf eine Waage gelegt, es gibt, so empfinde ich, nur noch das schwarz und weis, das ist keine gute Entwicklung. Das ist das Problem an uns Menschen. Wir können nicht ohne dieses Wachstumsdenken, was aus meiner Sicht schädlich ist. Ein Baum wächst auch nur bis zu einer bestimmten Höhe und dann ich Schluss. Nur wir begreifen es nicht. Ich denke auch, dass die Demokratie auch auf längerer Sicht ein Feigenblatt für machthungrige Politiker und deren Helfer ist.
Das klingt alles nicht besonders positiv. Wir hoffen, dass Du Dich dennoch nicht unterkriegen lässt und weiter machst!
Natürlich mache ich weiter. Und wenn ich ganz taub bin, dann suche ich mir was Neues, die Kreativität stirbt nie aus. Wichtig ist, so sehe ich, das wir alles versuchen müssen, miteinander klar zu kommen und uns klar machen, wir sind nicht hilflos.
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