WGT 2012 – Auf nach Leipzig

von J. Mehlhase

Nun ist bald wieder Pfingsten und es zieht aus allen Ecken (beziehungsweise Grüften) der Welt die Anhänger allerlei sonderbarer Klänge nach Leipzig. Die Leipziger sind es gewohnt und nicht mehr durch schwarze Horden auffällig gekleideter Menschen aus der Fassung zu bringen, die ihre Straßenbahnen verstopfen. Für die Leipziger ist das Wave Gotik Treffen vielmehr eine nette Abwechslung zur eintönigen Freakshow in der Glotze und so kommt die Familie zum alljährlichen traditionellen Gruftie-gucken vor das Agrar-Gelände oder die Moritzbastei. Ich werde mich unauffällig unters schwarze Volk mischen und mir ein paar musikalische Leckerbissen gönnen.

Auch in diesem Jahr gibt es eine kaum zu überschauende Anzahl der unterschiedlichsten Bands von Metal über Neofolk, Pop und Industrial bis zum Noise. Zu viel, um sie hier alle zu würdigen aber es sollte für Jeden und Jede etwas dabei sein. Hier meine kleine persönliche Empfehlungsliste:

Einer meiner Favoriten sind die Wahl-Leipziger von Clan of Xymox. Seit vielen Jahren im Geschäft mit Höhen und Tiefen sind sie ihrem Stil treu geblieben und produzieren Syntiepop vom Feinsten. Und ein besonderes Qualitätsmerkmal ist, dass sie es geschafft haben, mit ihrer letzten Veröffentlichungen „In Love we trust“ und „Darkest Hour“ noch besser zu werden.

Die Dreadful Shadows gibt’s auch wieder, wer hätte das gedacht. Was wird der Grund für die Reunion sein, der übliche: Erfolglosigkeit/leere Kasse? Oder einfach nur, weil die Musik gut war. Wer weiß? Zumindest kann ich mich (hoffentlich) auf ein paar Klassiker freuen, die ich auf keinen Fall verpassen werde.

Kommen wir zu etwas ganz Exquisitem, den Fliehenden Stürmen. Man war ich noch jung, als ich eins ihrer ersten Tapes gekauft habe – ja, zu Opas Zeiten gab es außer Grammophonplatten auch noch Kassetten zu kaufen. Die Zeit vergeht, der Weltenschmerz der Fliehenden Stürme hält an. Reifer geworden, nicht nur an Jahren, auch musikalisch sind die Düster-Punks besser den je. Nicht zuletzt wegen ihres neuen Drummer, der durch sein markanten Stil den Stürmen seinen unverwechselbaren Stempel aufdrückt. Da lohnt es sich auf jeden Fall mal genauer hinzuhören.

Auch die Neofolk-Fraktion hat für mich etwas zu bieten. Hier seien stellvertretend Hekate und In Gowan Ring genannt. Beide auf ihre Art markant und unverwechselbar. Hekate feiern heuer ihr 20zig-jähriges Jubiläum, wir dürfen also gespannt sein auf eine breite Auswahl an bezaubernden Liedern und Klängen. Jeder der das Glück hatte In Gowan Ring-Macher Bobin Eirth aka B’eirth persönlich kennen zu lernen, wird bestätigen, dass da ein ganz besonderer Mensch auf der Bühne steht, nicht nur musikalisch. Wenn er bei den Mormonen nicht gerade Schafe hütet, schreibt der Amerikaner unglaublich poetische Songs, die er dann mit sanfter Stimme vorträgt. Einfach ein Muss für Jeden, der etwas mit Neofolk abseits martialischem Gedröhne anfangen kann.

Einer der Headliner des Festivals und Besuchermagnet werden sicher Project Pitchfork sein: Über das Elektroduo viel zu erzählen, ist an dieser Stelle sicher nicht notwendig. Seit Beginn der 1990er Peter Spilles und Dirk Steuber zu den Helden der hiesigen Szene. Die Show wird sicher sehenswert sein und ich denke, ich schaue auch vorbei.

Ein anderes Highlight aus meiner Sicht sind die britischen Sigue Sigue Sputnik. Ich wusste gar nicht, dass es die Band noch gibt. Die Reunion der Elektro-Punks liegt nun auch schon wieder mehr als zehn Jahre zurück, das letzte offizielle Album erschien 2003. Musikalisch ist also nicht unbedingt viel Neues zu erwarten aber genau wegen des 80ziger-Jahre-Feelings werden die Fans hinströmen. Kaum zu glauben dass der große Hit der Sputniks, Love Missile F1-11, mittlerweile schon über 25 Jahre auf dem Buckel hat!

Sonar ist Pflichtprogramm für alle Freunde des rhythmischen elektronischen Krachs. Da muss man einfach mit der ganzen Halle mit wippen. Das ist so simpel wie effektiv. Mehr auf den Punkt geht es nicht. Keine unnützen Schnörkel und Spielereien, nur Rhythmus. Da kann man sich mal den Kopf vor der Box freiblasen lassen. Ohrenstöpsel nicht vergessen!

Eine ganz andere Baustelle sind The Fright. Da wird der Horrorpunk im Stile der Misfits zelebriert. Der Außenstehende fragt sich, ob es dabei eigentlich um die Musik oder nur um die Show geht? Aber letztendlich ist das egal, denn sehenswert ist das Konzert allemal. Mir tut nur der leid, der die Sauerei nach dem Auftritt aufwischen muss.

Eigentlich war ich schon einmal beim letzten Konzert von Thorofon. So kann man sich irren. Nach mehrjähriger Pause ist es wieder da, das Old School-Industrial-Projekt, im vergangenen Jahr erschien das aktuelle Album „Exkarnation“ auf Ant-Zen. Aus meiner Sicht war es gut, dass die Bayern weitergemacht haben und ich werde ihren Auftritt sicher nicht verpassen.

Aus der Metal-Fraktion kann man außer Klassikern wie Amorphis auch Tyr empfehlen. Stellt den Met warm und holt die Trinkhörner raus, es darf geheadbangt werden.

Aus Frankreich kommt mein Tipp Derniere Volonte. Die Band um Geoffrey D. machen einfach nur tolle Songs, die mich in den Bann ziehen. Man sollte sich nicht von dem bewusst zur Schau gestellten, an düstere Zeiten erinnernden Kleidungsstil abschrecken lassen. Auch die Bezeichnung Military-Pop sollte nicht zu ernst genommen werden. Am Ende überzeugen sie musikalisch in jedem Fall. Wer es schaffen sollte, rein zu kommen, der kann sich sicher auf einen gelungen Ohrenschmaus freuen. (Anmerkung des debilen Diktators: DV halte ich für eine der schlechtesten und überbewertetsten Bands des Genres. Alberner Synthiepop mit einem selbstverliebten Sänger, der sich auf der Bühne bewegt wie ein schwuler Animateur. Ganz zu schweigen vom reaktionären Gedankengut, das mit der Musik verbreitet wird. Aus meiner Sicht kein Muss sondern ein No-Go. Ich „durfte“ die Franzosen in Wroclaw erleben und habe – wie viele andere auch – den Raum nach wenigen Minuten verlassen. Sorry, aber das muss an dieser Stelle mal gesagt werden!)

Diese Empfehlung berücksichtigt nur einen kleinen Bruchteil der über 150 Bands, die in Leipzig spielen. Ich denke, das Geld (81 Euro + 25 Euro Obsorgekarte sind’s in diesem Jahr) ist für die vier Tage gut angelegt und für reichlich Auswahl ist gesorgt. Nicht zu vergessen die vielen anderen Veranstaltungen, die zusätzlich zu den Konzerten geboten werden. Vielleicht schaffe ich es ja dieses Jahr einmal zum Forensiker und Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke zu gehen, der mittlerweile zu einer Institution beim WGT geworden ist. Vielleicht kann er ja auch einen Zettel unterschreiben, damit die Stunde von der Uni anerkannt wird und schon ist das Pfingsttreffen ein Bildungsausflug.

Wie immer werde ich erst am Dienstag wissen, was ich alles verpasst habe, das Beste sind eh die Bands die man bisher nicht kannte und die einen überzeugen konnten. Und so freue ich mich auch wieder auf all die mir noch unbekannten Bands die ich sehen werde. Das Wichtigste aus meiner Sicht ist es, die Atmosphäre aufzusaugen und viele interessante, skurrile und normale Menschen zu treffen. Eine paar Schnappschüsse wird es wieder sicher geben für Interessierte und Daheimgebliebene, damit die sich ärgern können. 🙂

 

Nachtrag des debilen Diktators

Ich möchte, auch wenn ich selbst nur am Samstag im Anker anwesend sein werde, unbedingt auch noch einige Tipps loswerden. Etwas schade ist, dass ich wohl Ain Soph verpassen werde. Die Musik der italienischen Neofolker ist zum Teil sehr schräg, zum Teil aber auch wunderbar rituell. Seit 1984 ist das Projekt aktiv, da sind schon allerhand Veröffentlichungen zusammen gekommen. Live hätte ich mir die Mannen um Clau D.E.D.I.
gern einmal gesehen, soll wohl aber nicht sein.

Dafür bin ich bei Cent Ans De Solitude und Minamata dabei, zwei Urgesteinen der französischen Industrialszene. Während C.A.D.S. vor allem mit den gut sichtbaren Klangerzeugungen punkten – lasst Euch überraschen! – beeindruckt bei Minamata die visuelle Seite.

Ebenfalls schon ein paar Jahre im Geschäft ist Whitehouse-Mitglied William Bennet, der in Leipzig mit seinem Seitenprojekt Cut Hands zu erleben ist. Ich hatte schon die Gelegenheit, Bennet damit in Prag zu sehen und kann sagen, dass es hier etwas gemäßigter zugeht, als bei Whitehouse. Der vokale Teil entfällt völlig, dafür gibt es heftige Elektronik aufs Ohr.

Wie Ain Soph aus Italien kommend, schickt sich Massimo Magrini aka Bad Sector mit seiner intelligenten Ambientmusik begleitet von einem sehenswerten Backgroundvideo an, Freunde der Wissenschaften gut zu unterhalten. Eine der Shows, die ich mal gesehen habe, widmete sich der sowjetischen Raumfahrt.

Gleich zweimal zu sehen gibt es sicher Mark Spybey. Einmal mit seinem Hauptprojekt Dead Voices On Air und zum zweiten mit dem Skinny Puppy-Ableger Download, gemeinsam mit Phil Western und Cevin Key. Während ersteres Projekt eher etwas für Freunde intelligenter Elektronika ist, sind Download ein Muss für die Anhänger der kanadischen Spielform des Industrial. Es wird allerdings wesentlich abstrakter und minimaler als bei Skinny Puppy.

Echte EBM-Anhänger werden sich Daniel Myers Haujobb und Doug Mc Carthy von Nitzer Ebb sicher nicht entgehen lassen. Nicht zu vergessen die britischen Portion Control, die ich einmal in Berlin sehen durfte und die mich wieder ein wenig mit dem Genre versöhnten. 30 Jahre Erfahrung hinterlassen halt ihre Spuren und so klingt man halt nicht, wie die tausenden Klonbands, die das 1-2-Stampf zum Mantra ihrer musikalischen Welt erhoben haben. Gegen unseren Lokalhelden Rummelsnuff können diese Combos sowieso einpacken, denn der singende Bodybuilder hat im kleinen Finger mehr Humor als all diese Pappnasen zusammen.

Wesentlich rumpeligere Beats sind von SynapascapeS.K.E.T. und Tzolk’in zu erwarten, die quasi die Elektroanschlag-Fraktion beim WGT vertreten. Schön dass die Projekte in diesem Zuge sich einem breiteren Personenkreis vorstellen können.

Etwas härter und nicht ganz so rhythmuslastig sind Ex.Order, das Seitenprojekt der Leipziger Ambient-Götter Inade. Hier frönt man verstärkt der Spielart der Power Electronics, während die mysteriösen Galerie
Schallschutz
eher im Stile der Hauptband musizieren, also dunkel-ambient.

Etwas theatralischer geht es bei den schwedischen In Slaughter Natives, die den typischen Cold Meat-Sound mitgeprägt haben.

Beim Death In June-Konzert in Dresden durfte ich Jännerwein sehen, die ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann. Zwar klingen die Folkmusiker wie eine Kopie ihrer Helden, dafür aber zumindest wie eine sehr gute. Etwas eigenständiger sind da die Dänen Of The Wand And The Moon, wenn auch hier die typischen Elemente des Genres nicht fehlen dürfen. Neofolk-Anhänger sind nun mal eher konservative Zeitgenossen. Freude haben sie aber sicher auch an den italienischen Ordo Equitum Solis, die mit weiblicher Stimme ein wenig herausstechen und den vor allem die holde Weiblichkeit ansprechenden Ordo Rosarius Equilibrio. Die Schweden habe ich schon so oft erlebt, dass ich nicht ganz traurig sein muss, ein schönes Konzert war es bisher aber stets gewesen.

Gut gefallen hat mir auch vor vielen Jahren das Konzert von Love Is Colder Than Death aus Leipzig. Die Band ist ein Überbleibsel der damals regelrecht totgerittenen Welle des Heavenly Voices, doch es hat schon seinen guten Grund, warum die Leipziger noch immer am Start sind.

Am meisten ärgere ich mich über zwei Bands, die ich verpassen werde. Da ist zum einen die Düsterrock-Legende Red Lorry Yellow Lorry, die zur zweiten Welle der Gothic Bewegung gehörten. Leider wird die sehr spröde aber emotionale Musik heute nur noch selten gespielt, weshalb ich hoffe, dass viele Düsterfreunde die Band im Zuge ihres Konzerts für sich entdecken und den Briten zu neuer Popularität verhelfen.

Schade ist auch, dass ich die verrückten Amis von Luftwaffe nicht in Augenschein nehmen kann, denn deren skurrile Mischung aus Folk, Industrial und Düsterem ist ein echter Genuss. Ein wenig erinnert mich das Ganze an die alten Radio Werewolf, wenn auch mit wesentlich mehr Humor und ganz unsatanistisch…

Ja, das soll’s dann erst einmal gewesen sein. Ich wünsche allen in Leipzig viel Spaß. Nächstes Jahr bin ich bestimmt wieder beim ganzen WGT dabei!

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