20. Dezember 2004
Zwar gehört es nicht zu meinem Festprogramm, mich mit solch einem Schwachsinn wie „Deutschland sucht den Superstar“ etc. zu beschäftigen, aber seitdem sich die Clone Master eine „Nu Pagadi“ betitelte Kombo ausgedacht haben, die irgendwie „gotisch“ zu sein vorgibt, beschäftigt sich auch die Dresdner Schwarze Szene in Form der Diskussion im Bunker-Forum mit diesem Quatsch. Lang und breit wird hier auseinanderklamüsert, ob die unschuldige Jugend verarscht wird und ob sie auf diesen Mist reinfällt. Natürlich wird sie das, bei der Dauerpenetration und ebenso natürlich wird in ein, zwei Jahren keine Sau mehr wissen, wer Nu Pagadi ist. Letztendlich ist das auch völlig egal. Viel interessanter ist die Frage, wie weit die Industrie noch gehen kann und welcher Schund uns als nächstes als Leckerbissen verkauft wird. Eine Frage, deren Klärung den Rahmen dieser Kolumne sprengen würde. Eins aber ist sicher: Das Ganze hat System und der Superstar-Käse ist nur die Spitze des Eisberges. Während man den Fernseher oder das Radio einfach abstellen und die Super-Illustrierten zur Seite legen kann, sind wir in vielen lebenswichtigen Bereichen – je nach Größe des eigenen Geldbeutels, eigenem Wissen und Willen – abhängig von dem, was uns andere vorsetzen. Und während wir uns oftmals über Dinge aufregen, die unser Leben nicht wirklich betreffen, akzeptieren wir andererseits, dass unsere Nahrung statt aus der Natur aus dem Labor kommt oder Firmen bekanntermaßen gesundheitsschädliche Stoffe in Wohnhäusern verbauen, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Nun kann man lange über Manipulation etc. fabulieren, und es ist sicher so, dass in unserer kapitalistischen Gesellschaft alles dafür getan wird, dass fleißig konsumiert wird, koste es, was es wolle. Aber genau das ist der Punkt – konsumieren tun am Ende WIR selbst und niemand zwingt uns, Geld für unsinnige Dinge auszugeben. (Das ändert sich vielleicht mit Hartz IV, wenn die frei verfügbaren Mittel weniger werden. Dann muss das Bio-Brot dem Supermarkt-Müll weichen und die naturbelassene Wurst wird durch plasteverpacktes Industriegemansche ersetzt.) Setzen wir der Einfachheit halber mal voraus, dass die meisten Menschen hierzulande noch über genügend ökonomische Hebelchen verfügen, um zu überleben und außerdem etwas übrig bleibt bzw. eine gewisse Entscheidungsfreiheit in Sachen Produktauswahl besteht. Solcherart ausgerüstet, sollte Mensch doch zuallererst die Bedürfnisse befriedigen, die sein Leben, seine Wohlbefinden, seine Gesundheit zufürderst betreffen. Leider ist es aber nicht so. Es gibt nicht wenige Zeitgenossen, die das ganze Jahr über wilde Mischungen von E’s, Konservierungsstoffen etc. in sich hineinstopfen, um dann drei Wochen auf Mallorca oder von mir auch beim Trekking in Neusandland all das Gesparte auf den Kopf zu klopfen. Sicherlich ist das auch dem Wirken und Werben der Freizeitindustrie geschuldet, nur beantwortet das nicht die Frage, warum sich Menschen so etwas antun. Während der „Mallorca“-Typ höchstwahrscheinlich nur für eine bestimmte Zeit seiner ärmlichen Existenz entfliehen will, hat der Trekker vielleicht wirklich hehre Ziele. Er will sich weiterbilden, an seiner Weltanschauung arbeiten, denn die resultiert nicht unwesentlich daraus, dass man sich die Welt anschaut, wie sie ist. Hier wird ein elementares Bedürfnis deutlich, dass über die blanke Existenzsicherung hinausgeht, das Streben nach Wissen und in (metaphysischer) Endkonsequenz nach Vervollkommnung. Ein Bedürfnis, dem im Normalfall erst nachgegeben wird, wenn die Punkte Essen, Schlafen, Ficken abgehandelt sind. Genau hier scheint mir aber ein Knackpunkt unserer Gesellschaft zu liegen: Ein Teil der Menschen (die Armen, die untersten Schichten) kommen niemals über diese Schwelle hinweg. Wenn sie es geschafft haben, etwas zwischen die Zähne zu bekommen und irgendwo zu pennen, gibt es immer noch das Triebleben, das gewinnbringend ausgebeutet werden kann. Wer dieses Stadium überwunden hat, verliert sein Lebensziel häufig bei der Jagd nach immer „wichtigeren“ Besitztümern oder Trophäen aller Art (möglichst viele Reisen, CDs, den neuesten Rechner etc.) aus den Augen. Dass all diese Dinge maximal Werkzeuge sind, Hilfsmittel, den eigenen Lebenssinn zu verwirklichen, ist eine Weisheit, die dabei schon längst in den Hintergrund getreten ist. Doch schon die Frage nach dem Sinn des Lebens ist heute nicht mehr hip bzw. zeitgemäß. Die einzige Existenzberechtigung, die uns zuerkannt wird, ist die als Konsument.
Wer jetzt als die Schuldigen „die da oben“, „die Mächtigen“ oder im schlimmsten Fall „die Juden“ zur Hand hat, vergisst eines: all diese Personen sind auf unterschiedlichen Ebenen im gleichen System gefangen, selbst, wenn sie sich einbilden, es zu beherrschen. Die Menschheit hat sich eine Maschine geschaffen, mit der sie derzeit auf Gedeih und Verderb verbunden ist. Wenn wir es nicht schaffen, unser Tempo zu verlangsamen und Atem zu holen, werden wir über kurz oder lang daran zugrunde gehen, dass diese Maschine von unserer Lebensenergie zehrt. Die Endkonsequenz ist vielleicht das, was uns in MATRIX präsentiert wurde. Wie aber sieht die Lösung aus? Zuallererst müssen wir wieder langsamer werden! Langfristig bleibt uns nur, aus dieser Maschine auszusteigen, solange es noch geht und wieder auf unseren eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, auf den gesunden Menschenverstand. Das gilt im Großen, wie im Kleinen. Dann wird schnell klar: Für die Auseinandersetzung mit Nu Pagadi und ähnlichen „kulturellen“ Phänomenen Lebenszeit zu verschwenden, ist unnötig. Ein Blick in die leeren Gesichter der Maschinensklaven reicht – sie haben uns nichts zu sagen. Ihr Kampf in den Arenen hat über einen geringen Unterhaltungswert hinaus keine Bedeutung ebenso wenig wie der Zirkus Maximal bei Olympia, Fußball Bundesliga etc. Das Leben hat viel zu bieten, für das man weder Geld noch „gesellschaftliche Anerkennung“ braucht. Eine positive Wirkung im eigenen Kreis ist der Beginn jeder Veränderung. Und Veränderung tut Not. Solange wir aber noch im Kapitalismus leben, sollten wir eines nicht aus den Augen verlieren: Ohne Nachfrage gibt es über kurz oder lang auch kein Angebot.