Sonntag

Der neue Tag begann mit einigen Besorgungen auf dem Hauptbahnhof, wo ich wieder einmal feststellen konnte, dass Dresden doch noch ziemliche Provinz ist. Ausser dem Lidl am Neustädter hat hier nur der eine oder andere muchtige Spätshop in der Neustadt geöffnet, was nun wirklich nicht so der Hit ist. Gut ausgerüstet brach ich dann in Richtung heidnisches Dorf auf, das ich bisher leider nicht hatte besuchen können. Hier gab es schon zu früher Stunde manch Ereignis zu bestaunen, so z.B. die Schaukämpfe einiger Rittersleut. Richtig angenehm blieb mir der Auftritt von FAUN in Erinnerung, weniger wegen ihrer freundlich-mittelalterlichen Weisen, als vielmehr aufgrund der beiden holden Maiden, die an Mikrofon und Instrument den Klang verschönten. Schwärm. Besonders die eine hatte es mir sehr angetan und wenn ich nicht schon verheiratet wäre, wer weiß…
Nach soviel Schönheit und Eleganz musste zwangsläufig ein Rückschlag kommen und das war HELGA. Sicher hat jeder schon einmal diesen dämlichen Namen gehört, der auf dem Zeltplatz nächtigte. Spätestens ab Mitternacht oder wahlweise 1,8 Promille plärren einige Idioten "Helgaaaa" über das Rund. Nun hatte ein besonders spaßig veranlagter Zeitgenosse seinen fettleibigen Corpus delicti in Rock und BH gequetscht und lief mit der Brustaufschrift "Ich bin" und der Rückenverzierung "Helga!" durch die Gegend. Vielleicht hat es ja geholfen und mancher verwirrte Zeitgenosse wird sich seinen nächtlichen Ruf eingedenk des Wrestling-Meisters verkniffen haben. Hoffen wir's!
Nach einem kurzen Besuch in der Presseleitstelle des WGT, wo zu diesem Zeitpunkt lauter bedeutende Menschen rumliefen, die ich aber nicht kannte, verdrückte ich mich in Richtung Parkbühne. Auf dem Weg dahin nutzte ich die Gelegenheit, mir den Stadtteil Connewitz etwas genauer anzuschauen, mit dabei die berühmte Feinkost-Familie, die nun wohl doch dem Profitstreben geopfert werden soll. Schade und oberdumm, aber das DDR-Erbe ist wohl immer noch recht vielen Menschen peinlich. Im Clarapark angekommen, traf ich meine Kumpels schon wieder im Zustand der vollkommenen Verstromung an und sie waren kurz davor, die Rolle des Hundes vom Vortage einzunehmen. Nun muss ich mich an sich nicht aufregen, da ich während der vier Tage Festival auch nie nüchtern bin, aber irgendwie weiß ich mich immer im Zaum zu halten (Anders lautende Gerüchte sind bösartige Feindpropaganda!). Zwar gehört Alkoholabusus in unseren Breiten einfach zum Feiern dazu, die Grenzen der Peinlichkeit sollte man jedoch nicht überschreiten. Ich zog jedenfalls meine Konsequenzen und verdrückte mich in die Lokation, um den Künstlern zu lauschen. Als erste durfte ich dort ICON OF COIL erleben, die zwar ganz nette Musik machten, aber mich nicht wirklich beeindruckten. Verstehe nicht, was an denen so faszinierend sein soll. Naja, der Sänger ist ganz niedlich und in seinem Eisernen Kreuz-geschmückten Lederhemdchen und mit seiner Ex-David-Beckham-Frisur sieht er aus wie Grufti-Muttis Lieblingsschwiegersohn, die musikalischen Qualitäten des Kollektivs blieben mir allerdings verborgen. Abgehakt das Ganze.
Als nächstes folgte eine deutsche EBM-Legende, die AMARGEDDON DILDOS. Zwar konnte ich auch mit ihrer Musik nicht allzu viel anfangen, was die optische Präsenz und die Energie der Dildos betraf, gab es jedoch überhaupt nichts zu meckern. Als wären sie nie verschwunden gewesen, rockten sie die Menge und besonders der Sänger sah dabei richtig sexy aus (Fast wäre ich ein wenig neidisch geworden.). Der Meister hüpfte nicht nur auf der Bühne herum, sondern suchte auch den direkten Kontakt zum Publikum. Die Security wird's mit Grausen gesehen haben, ist es doch erklärtes Ziel der Veranstalter "Fans" und "Stars" immer fein säuberlich voneinander zu trennen. Eine Maßnahme, die mich schon seit langem ankotzt. Schließlich sind wir nicht bei Jeannette Biedermann & Co.
Nach diversen im Außenbereich genossenen Biers (ja ich weiß, dass es grammatikalisch richtig "Bieren" heißt), also Biers, folgten dann als letztes Highlight des persönlichen Parkbühnen-Programms INSEKT aus dem Mutterland der elektronischen Körpermusik. Da ich an Tonträgern des Projektes der Ex-KLINIKer Mario Vaerwijck und Eric Van Wonterghem (Sonar, Monolith) nichts weiter kenne, kann ich mir nur schwer ein Urteil erlauben - zumindest klang das Ganze recht interessant. Zu diesem Eindruck trug auch das Live-Drumming bei, das den Sound wesentlich lebendiger machte, als es das bloße Computer-Abspiel gekonnt hätte. Für mich durchaus ein Grund, mich etwas näher mit dem Krabbeltier zu beschäftigen. Schließlich sind Festivals wie das WGT genau dafür da, sich neue Anregungen zu holen.

Leider trat ich dann den Weg ins Werk II an und verpasste so neben den mir unwichtigen In Strict Confidence den Ex-Kraftwerker Karl Bartos. Vielleicht ergibt sich ja wieder einmal die Gelegenheit… COPH NIA, der eigentliche Grund für meinen Ortswechsel, enttäuschten diesmal. Gehörten sie im letzten Jahr zu den absoluten Neuentdeckungen für mich, war ihre Show diesmal sehr langweilig. Insgesamt bot der Sound zu wenig Abwechslung und die Ausstrahlung von Sänger und Boss Aldenon Satorial konnte mich nicht wirklich überzeugen. Schade. Wesentlich beeindruckender zeigten sch dagegen SANCTUM, die mit zwei Sangeskünstlern antraten und so dem typischen, immer etwas breiigen CMI-Sound eine aggressivere Note verliehen. Dass die beiden alten Schweden an den Mikros schon wieder reichlich im (Hopfen)tee waren, verwunderte letztendlich niemanden mehr. Dem positiven Eindruck und der Energie ihres Auftrittes tat das aber keinen Abbruch. IN SLAUGHTER NATIVES dagegen ließen mich genauso kalt wie das Jahr zuvor. Woran das liegt? Keine Ahnung. Lange Zeit, mich der Lösung dieser Frage zu nähern, blieb mir nicht, schließlich wollte ich Anne Clark nicht verpassen. Im Nachhinein erfuhr ich, dass ich mir durchaus noch Zeit hätte nehmen können, mir die Sauereien von IRM anschauen können. Blut, spritz, Schmodder. Hübsch, hübsch und ich nicht dabei. Dafür lungerte ich schon in der agra rum, um einen guten Platz bei der Göttin der dunkel-elektronischen Musik zu erhalten.
Der Fotograben fiel diesmal aus, hatte sich doch bei The Klinik gezeigt, dass mensch nach dem ersten Song rausgeschmissen wurde und dann mit einem Platz weit hinten Vorlieb nehmen musste. Das kam bei bei diesem Konzert natürlich nicht in Frage, auch wenn die Fotoqualität unter dem Rückzug hinters Gitter etwas litt. Fast schon hätte ich nicht mehr daran glauben wollen, ANNE CLARK wieder einmal anders als akustisch zu erleben, doch diesmal sollte es so sein. Mit ihr auf der Bühne stand ihr Wegbegleiter aus alten, besonders erfolgreichen Tagen David Harrow. Selbiger hatte die alten Hits wie "Sleeper in Metropolis", "Wallies" oder "Our Darkness" zeitgerecht aufgepeppt und ANNE CLARK rezitierte in gewohnten Stil ihre Gedichte dazu. Für mich war das Ganze ein wunderbares Stück Nostalgie, bei dem ich mich einfach wohl fühlen konnte, auch wenn es der zeitgemäßen Umsetzung manchmal ein wenig an Schlagkraft fehlte. Trotzdem kam ich nicht umhin, alle Texte, soweit sie mir noch nicht entfallen waren, mitzubrüllen und mir einfach ein riesiges Loch in den Bauch zu freuen. Nachdem wir Anne hinter uns gebracht hatten, entschieden wir uns gemeinschaftlich, den Abend zu beenden, um Kraft für den letzten Akt zu sammeln. Also nix mit Moritzbastei.

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