Samstag

Tag zwei begann mit den üblichen Einkäufen zur Erhaltung der Lebensfunktionen. Dankbarerweise befand sich direkt gegenüber meiner Wohnstatt ein Bioladen und ich konnte mich so mit essbaren Lebensmitteln versorgen und dabei die regionale Ökolandwirte unterstützen. Nieder mit den Fritten sag ich da nur. (Ehrlich gesagt habe ich nie verstanden, was die kulturkritischen und naturromantischen Gruftis bei McDoof suchen, es sei denn eine Toilette.) Durch meine "Gasteltern" geleitet besuchte ich danach eine hübsche Gaststätte, von denen das Leipziger Szeneviertel Connewitz einige zu bieten hat. Nach der Nahrungsaufnahme hieß das Programm dann "Besuch der Parkbühne", wo sich meine Begleiter als Nicht-Karten-Besitzer einfach auf die grüne Wiese legten und den Klängen aus dem Inneren lauschten. Ich tat das Gleiche und viele andere auch. Hier draußen, vor der schönsten Bühne des Festivals gehört es mittlerweile zu den Gepflogenheiten, sich in schönster Chill Out-Manier den vorbeidefilierenden Szenepublikum und der interessierten Leipziger Bürgerschaft zu präsentieren. Ich kann mir richtig vorstellen, wie Mutti zu Vati sagt: "Horst, gehen wir heut in den Clarapark Gruftis gucken?" Warum auch nicht, kriegt man ja nicht alle Tage zu sehen, so viele extrovertierte Leute auf einem Haufen. Manche von denen hatten schon zu recht zeitiger Stunde zu viel des guten Alkohols oder anderer bewußtseinstrübender Substanzen genossen, auf das sie so manch seltsame Possen trieben. Ich erinnere mich besonders an einen jungen Mann in seltsam-trashigen Gewande, der täuschend echt einen Hund nachahmte. Ahoooouuuuh!
Da ich nun schon einmal vor Ort weilte, nutzte ich die Gelegenheit, um immer mal wieder an den Löwen vorbei in die Parkbühne zu flutschen und Ausschau zu halten, was denn da gerade geboten wurde. So erhaschte ich noch einige Takte von VENENO PARA LAS HADAS aus dem schönen Mexiko, von denen mir aber nur eine Menge elektronische Sounds und eine ätherische weibliche Stimme im Gedächtnis blieben. Nette Aufwärmmucke am späten Nachmittag, aber sonst nicht so der Hit. Ebenfalls wenig hitverdächtig zeigten sich THE CASCADES, ein paar Herren schon fortgeschrittenen Alters, an deren Körpern das harte Rock'n'Roll-Life schon einige Spuren hinterlassen hatte. Am besten in Form und mit reichlich zur Schau getragenen Brustfell versehen, hüpfte der Frontmann noch recht agil zu den altbackenen Gothic-Klängen über die Bühne und sah dabei in seinem Lederoutfit ein wenig wie eine Knackwurst aus. Nix für mich. Die Band wird's verkraftet haben, schmachtete doch in den ersten Reihen so manch Mägdelein.
Also wieder raus auf die Wiese, Bier getrunken, geschnasselt und geglotzt. So wie immer halt. rein ging es dann erneut bei PINK TURNS BLUE, der eigentliche Grund für den Aufenthalt in der Parkbühne. Auch wenn die Musik vielleicht besser in einen Sonnenuntergang gepasst hätte, gab es an dem Auftritt der alten Helden nichts auszusetzen. Die wunderbar melancholische Stimmung, die die Band mit ihren Songs aufbauen kann wird nur noch übertroffen von der angenehmen Ausstrahlung der Musiker. Natürlich durften Hits wie "Michelle" und "Suicide Day" nicht fehlen und spätestens jetzt verfiel der ältere Teil des Publikums in wohlige Nostalgie.
Solcherart seelisch und moralisch gestärkt brach ich wieder in Richtung agra-Halle auf, um hier Fixmer/Mc Carthy miterleben zu können. Zuvor sah ich jedoch noch den Rest der Show von NORTHERN LITE und war sehr angenehm überrascht von den beschwingten Synthiemelodien und der guten Stimmung, die sie damit verbreiteten. Besonders der Sänger wusste mit seinem Publikum zu arbeiten und überzeugte mit viel Freude am Spiel.
Nach einer etwas lang währenden Umbaupause durfte dann Douglas Mc CARTHY ans Mikro, den meisten sicher bekannt von NITZER EBB. Am Laptop begleitet wurde er von Terence FIXMER aus Frankreich, meines Wissens nach ein Produzent für eher Technoides. Wie auch immer die Mischung zustande gekommen ist, im Konzert zündete sie vom ersten Moment an. Dreh- und Angelpunkt der Show war Mc CARTHY, der wie ein Besenkter von einem Ende der Bühne zum anderen wuselte und dabei eine Energie ins Publikum schleuderte, dass man niemanden wünschte direkt getroffen zu werden. OK, das Ganze war musikalisch eher recht einfach gestaltet (Stampf, stampf, stampf!), aber die beiden zeigten, dass das Genre nicht umsonst Electronic BODY Music heißt. Der Saal bebte unter den Sequenzerkaskaden! Nitzer Ebbs alte Hits mischten sich fröhlich und ohne größere Brüche mit den Songs vom gemeinsamen Projekt "Between The Devil...".
Am Ende des Sets verließ ich wieder die agra-Halle, um Funker Voigt zu entgehen, eine der schlimmsten musikalischen Entgleisungen der Schwarzen Szene. Ein kurzer Abstecher ins Werk II erwies sich als überflüssig, musste ich doch feststellen, dass dort noch nichts los war. Außer einem lustigen Schild am noch geschlossenen Dark Room gab es nichts zu fotografieren. Nicht zu vergessen Sopor Aeternus, der mit mir in der gleichen Straßenbahn fuhr. War er/sie/es oder nicht, ich weiß es nicht sicher. Wenig erfreut stellte ich fest, dass meine Batterien das Zeitliche segneten und so musste ich notgedrungen in die Unterkunft zurück. Frisch mit Energie und Bier betankt, ging es zurück in die agra, zwecks KLINIK-Besuches. Nun habe ich Dive schon mehrfach gesehen, trotzdem macht es immer wieder Spaß Ivens über die Bühne toben zu sehn. Anfangs mit einer Mike Myers-Maske bewaffnet, zeigte der EBM-Aktivist bald wieder Gesicht. Kumpel Marc Verhaeghen schraubte ordentlich an der Elektronik, dass es nur so krachte. Viele der Stücke wirkten überhaupt nicht so, als wenn sie schon zwanzig Jahre auf dem Buckel hätten und die Menge stampfte fröhlich zu den technoiden Beats. Sogar mein Body movte, wer hätte das gedacht?
Nachdem ich aus dem Fotograben geflogen war, musste ich mir weiter hinten Platz suchen, wo ich erfreulicherweise auf nette Menschen traf, die einfach auch nur Spaß haben wollten und ordentlich mitgingen. Reichlich frohgestimmt und durchschwitzt, konnte ich am Ende THE KLINIK nur ein ganz großes Lob aussprechen. Sehr fein gemacht! Nachdem im Saal das Licht angegangen war, traf ich auf einige Freunde, die ebenso euphorisch durch das Gelände stürzten. Gemeinsam konnten wir uns nicht auf eine Aktivität entschließen und so schnappte ich mir einen mit Auto bewährten jungen Mann, der mich zum Ausklang des Abends in die Moritzbastei begleitete. Als Dank für seine Unterstützung durfte er mit mir das Bett teilen - jetzt aber nicht, wie ihr denkt, ihr Ferkel! Ich konnte meinen besten Kumpel ja wohl nicht im Auto pennen lassen. Gegen vier saß ich dann noch ein wenig verträumt auf dem Balkon der Herberge und chillte beim Genuss eines weiteren Bieres (das wievielte war das jetzt eigentlich).

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