WGT 2011 - ein VorberichtGelegentlich ernte ich Unverständnis, wenn ich erkläre, dass ich Kaufhäuser und Supermärkte nicht mag. Das Überangebot an Waren raubt mir quasi den Verstand. Ich will und brauch das alles gar nicht. Eine Zahnpasta ist OK, von mir aus fünf aber 50? Ähnlich fühlt man sich, wenn man auf das Programm des WGT schaut. Da unterscheiden sich die meisten Bands zwar - also um es metaphorisch auszudrücken es gibt nicht nur Zahnpasta sondern auch Kaugummi, Brot und Butter, Pralinen; Vanilleeis oder 'nen Sack Kartoffeln. Ich weiß, der eine oder andere wird bei diesem Vergleich zusammenzucken, schließlich könnte er sich denken, ich will seine Band als Kaugummi verunglimpfen. Sicher, es gibt in jedem Festivalprogramm Bands, die mir nicht gefallen aber wer zum WGT nach Leipzig fährt und überhaupt nichts für sich gefunden hat, der gehört entweder nicht in die Szene oder ist einfach ein fauler Sack. Denn das ist das Einzigartige am WGT - dass hier in Leipzig eine Unzahl an Facetten einer Szene gezeigt wird, die sich sonst über ganz Europa verstreut und deren Protagonisten manchmal wenig manchmal aber auch enge Freundschaften verbindet. Das WGT ist quasi ein Brennglas, aber auch die Leistungsschau dieser Szene. Da muss man einfach dabei sein. Als Konsument entscheidet man wohl eher nach Preis-Leisutngsverhältnis - was kostet's, was bekomme ich dafür geboten - als Aktivist, zu denen ich mich ganz selbst zähle, interessieren mich zwar auch die Bands und Künstler, die ich gerne einmal (wieder) sehen möchte aber ich genieße auch das Treffen mit zahllosen anderen "Aktivisten", die man oftmals aus dem Internet, von Konzerten oder Partys flüchtig kennt oder die der Lauf des Lebens an einen entfernten Ort verschlagen hat. In diesem Sinne: Auf nach Leipzig! Zu meinen musikalischen Vorlieben, das Wissen Leser dieser Seite sicher schon, zählen Industrial, Noise und experimentelle Klangkunst. Ich begeistere mich für Post Punk, Wave und auch für gute Popmusik. Als langjähriger Szenegänger hängt mein Herz selbstverständlich auch an all den "alten Helden" wie Sister Of Mercy, The Cure oder Bauhaus. Um noch einmal den Vergleich mit dem Essen zu bemühen: Ich bin kein Gourmet und das einzige Kriterium, das mich interessiert ist, ob's schmeckt. Dabei stehe ich eher auf gehaltvolle einfach Sachen als allzu künstl(er)ich Aufgeblasenes. Das gilt so auch in der Musik. Aus eben diesen Vorlieben ergeben sich auch meine Empfehlungen. Wie gesagt, das WGT-Kaufhaus ist proppevoll und mir ist es unmöglich, alle Bands unter die Lupe zu nehmen... Genug gelabert,
here we go: Als alter Industrieller möchte ich mit den Empfehlungen aus
diesem Genre beginnen. Das Ereignis schlechthin wird wohl der Auftritt
von Chris Carter & Cosey Fanny Tutti sein. Die zwei Throbbing Gristle-Musiker
haben in den letzten Jahren als CARTER
TUTTI eher eine loungige Variante mit Referenzen an Jazz ebenso
wie an Dancemusik fabriziert. Als CHRIS
& COSEY ist von Ihnen auf jeen Fall ein wesentlich experimentellerer
Klang aber mit deutlichem Diskoeinschlag zu erwarten. Was auch immer Chris
& Coseys spielen - Coseys Stimme ist für mich der Grund, das Konzert nicht
zu verpassen… Nummer zwei auf meiner Liste ist CLOCK
DVA - hoffentlich spielen beide Bands in direkter zeitlicher und räumlicher
Nachbarschaft. Die Band ist aus meiner Sicht unterbewertet. Viel zu wenige
Hörer kennen das Werk der Briten. Gründer Andi Newton war in den späten
1970ern, frühen 1980ern eine der umtriebigsten Figuren der Sheffielder
Szene - by the way: mit Richard H. Kirk und Stephen Mallinder von CABARET
VOLTAIRE musizierte Newton 1977 in dem Bandprojekt STUDS, dass
mit einer legendäre Performance an der Sheffielder Uni Eindruck hinterließ.
Newton spielte zudem in THE
ANTI GROUP / TAGC, die auch beim WGT auftreten werden. Diese Psychoakustiker
sollte sich kein Fan verrückter Klänge, die sicher zudem von ansprechenden
Projektionen verstärkt werden, entgehen lassen. Eher die Tanzstiefel ausgepackt werden auch bei den legendären deutschen PLASTIC NOISE EXPERIENCE, bei den heftig rhythmusbetonten FEINDFLUG und NOISEX oder den tanzflächen-kompatiblen SOMAN und den mexikanischen HOCICO; alles Namen, zu denen man hierzulande nicht viel schreiben muss. Für mich sind einige dieser Konzerte Kann, mache ein No-Go aber niemals ein Muss. Das Kann gilt auch für die Pflichttermine der EBM-Fraktion NITZER EBB und FRONT 242. Wenn sich's ergibt, schön. Wenn nicht - auch nicht so schlimm. Eher Kategorie drei sind dann DER PRAGER HANDGRIFF und THE ETERNAL AFFLICT, die ich zwar noch nie gesehen habe aber die mich auch nicht wirklich interessieren, haben beide Projekte doch niemals einen allzu großen Eindruck auf mich hinterlassen, auch wenn sie in der Electro-Szene der frühen 1990er sicher nicht ganz unbedeutend waren. Ganz anders sieht das mit POUPPEE FABRIK aus Schweden aus. Die sind zwar klangtechnisch auch zwischen EBM und Electro zu verorten, aber die Band um Henrik Nordvargr Björkk wird sicher ein energiegeladenes Konzert abliefern, von dem man noch eine Weile sprechen wird. Ein neues Album ist wohl auch schon fertig. Welcome back! Sicher nicht entgehen lassen werde ich mir die Dark Ambient Projekte INADE und XABEC aus Leipzig. Während die einen zur Speerspitze eines, wie auch immer man dies definieren will, okkulten Ambient und zu meinen absoluten privaten Favoriten gehören,steht das Werk von Manuel Richter aka Xabec viel mehr für eine künsterische Erforschung des Klanges steht und damit eher in der Nachbarschaft von Projekten wie Dronament oder Troum. Ganz anders RAISON D'ETRE und SOPHIA, die romantische bis martialische Komponenten des Ambient betonen, sowie man das vom Label Cold Meat Industry kennt. Landsleute und Teilzeitlabelkollegen KARJALAN SISSIT legen noch eineSchippe drauf und mischen ordentlich Noise mit in den Klang. Sehr gewalttätige Musik…
Ende Teil 1. Teil 2. Interview mit WGT-Pressesprecher Cornelius Brach. Nach oben.
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