WGT 16 - ein Rückblick (1)

Freitag

Pfingstfreitag, früher Nachmittag. Die Arbeit liegt hinter mir, die Sachen sind gepackt. Auf geht es nach Leipzig. Auf dem Bahnhof treffe ich die Mitreisenden, die mit mir - eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Idee - eine Fahrgemeinschaft bilden. 6,50 bis Leipzig ist auch mit dem Auto kaum zu schaffen. Die Reise ist kurzweilig, wobei schon hier klar wird, dass die etwas jüngeren Mitmenschen quasi zu einem anderen Festival reisen als ich. Die meisten Bands die sie sehen wollen, interessieren mich nicht die Bohne und umgekehrt. Trotzdem unterhalten wir uns über dies und das und haben eine Menge zu lachen. In Leipzig angekommen, mache ich mich jedoch schnell aus dem Staub, da ich eh ein Einzelkämpfer bin und mit Gruppendynamik nicht allzu viel anfangen kann. Ab geht es mit der Straßenbahn nach Dölitz, schnell die Karte am Presseschalter abgeholt. Dann werde ich abgeholt und auf den Zeltplatz gebracht - Freunde hatten mir einen Platz freigehalten. Nachdem das temporäre Heim errichtet ist, ist es schon höchste Eisenbahn, sich auf den Weg ins Werk II zu machen, wo Absolut Body Control spielen sollen.
Vor dem Werk stehen schon riesige Schlangen, an die sich meine Freunde leider anstellen müssen. Ich bin mal wieder Schwein und gelange dank meines Presseausweises schnell in die Halle. Dort spielen grad Fetisch:Mensch mit Frontmann Oswald Henke. Das erfahre ich erst durch den Blick ins Programmheft, ohne diese Information hätte ich auf die Geheimratserben getippt. Klingt irgendwie alles gleich in meinen Ohren. Zwar mag ich Ossi und finde, dass er gute Texte schreibt aber eine Offenbarung war das nicht gerade. Genauso wenig wie seine Coverversion von Ideals "Erschiessen". Ich schaue mir also die Ausstellung in der seitlich gelegenen Halle (D?) an, die leider höchstwahrscheinlich von nur wenigen Besuchern beachtet wird. Schade drum, da habt Ihr echt was verpasst. Giger-insprierte Skulpturen, verzerrte Fratzen auf quietschebunten Bildern, seltsame Gebilde aus Knochen, Federn und Metall. Aus meiner Sicht künstlerisch recht anspruchsvoll und ganz schön finster.

Als das Konzert endet, passiert, was ich vermutet habe: Ein nicht unwesentlicher Teil des Publikums verlässt die Halle und neue, eindeutig dem EBM zuzurechnende Fanscharen entern das Areal. Meine Freunde hatten es mittlerweile auch ins Werk geschafft und so konnte es losgehen. Welche Titel Absolut Body Control im Einzelnen gespielt haben - keine Ahnung. Viel mehr als "Melting Away", das glaube ich als Opener gespielt wurde, hab ich nicht erkannt. Ungeachtet dessen war's ein sehr stimmiges und energiereiches Konzert bei absoluten Saunatemperaturen. Das Duschen konnte man sich an diesem Abend wirklich sparen oder gerade eben nicht ;-) Die Show war wie erwartet: Eric Van Wonterghem stand recht stoisch mit Sonnenbrille bekleidet hinter seiner Technik, dafür rockte Dirk Ivens für drei über die Bühne. Wenn man bedenkt, dass der Belgier seit über 25 Jahren Musik macht, dann kann man nur den Hut für sein Engagement ziehen. Er hatte auch sichtlich Spaß daran, die alten Hits zu spielen, eine Freude, die sich auch auf das ausgelassen tanzende Publikum übertrug. Ganz uneigennützig war dieser Retro-Auftritt nicht, wie ein Blick auf Ivens Website (www.dirkivens.com) verrät: Die alten Aufnahmen gibt es pressfrisch wieder zu erstehen. Geht aber in Ordnung, wenn man bedenkt, dass man sich die Sachen nur illegal aus dem Netz laden oder für horrende Preise bei Auktionen kaufen konnte.
Nach diesem ersten Highlight versuchten wir vergeblich zum Monumentum am Völkerschlachtdenkmal zu gelangen. Bis zum Augustusplatz schafften wir es mit viel Mühe - die Türen der Straßenbahn gingen nicht zu und die Fahrt deshalb nicht los - noch aber dort gab es kein Weiterkommen mehr. Alle Bahnen waren komplett überfüllt und es war auch mit viel bösem Willen nicht mehr möglich, sich hineinzudrängeln. Der einsetzende Regen sorgte zudem dafür, dass uns die Lust auf weitere Ausflüge verging.
Wieder im agra-Gelände angekommen, machte ich mich nach einem kurzen Ausflug über den Markt und den Kauf einer der Witterung angepassten Kopfbedeckung direkt auf den Weg ins Zelt, The Retrosic hörte ich schon im Halbschlaf - es wummerte ordentlich und ich fragte mich, wie die Leute vor Ort das wohl aushalten, immerhin war ich Luftlinie gute 250 Meter oder noch weiter - im Schätzen bin ich nicht so gut - von der Bühne entfernt.
Wirklich zur Ruhe kam ich die ganze Nacht nicht, da zuerst bis gegen vier oder fünf unsere Nachbarn lautstark Musik oder sagen wir lieber Idiotentechno hören mussten - "Zucht, Ordnung und elektronische Musik" (zum Glück schwenkte man irgendwann mal auf Joy Division um, wenn auch bei leicht übersteuertem Klang) und gegen Morgen hörte ich im Halbschlaf irgendwelche vollverpeilten Leute Unsinn erzählen. Einer davon hing noch Stundenlang mit starrem Blick in seinem Gartenstuhl herum, wovon ich mich nach dem Aufstehen überzeugen konnte.

 

Freitag + Samstag + Sonntag + Montag + Bilder + Überblick

 

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