BeequuenBenicewiczChristbloodCindytalkClaire ObscureCon-Dom
Contagious OrgasmDerniere VolonteEsplendor GeometricoHaven[]Inner Vision LaboratoryJob KarmaKonstruktivistKunst Als Strafe
Non Toxique LostSpiritual FrontThemeVilgoc

IX. Wroclaw Industrial Festival
12. - 14. November 2010, Gothic Hall + Lulu & Bell Club, Wroclaw


Freitag

Die Fahrt nach Wroclaw verlief "ereignislos" - mittlerweile rauscht man die A4 entlang und ist in etwa drei Stunden von Dresden in der schlesischen Industriestadt. Kurz vor Wroclaw gab es einen kleinen Unfall samt Rückstau aber das war's dann auch schon. Nicht sehr abenteuerlich also. Osteuropa ist auch nicht mehr das, was es einmal war ;-)
Tatsächlich ist Wroclaw eine recht schöne Stadt mit schönen bunten Bürgerhäusern, vor allem, wenn man wie ich an diesem Wochenende gutes Wetter hatte. Im grauen Novemberregen und -nebel kann die Stadt sehr deprimierend wirken.
Ein wenig deprimiert war ich allerdings vom Hostel. Der Empfangsbereich war ganz nett, in den Zimmern erwartete mich allerdings nur das spartanische Jugendherbergsinventar, dass man so kennt. Doppelstockbetten mit quietschenden Stahlauflagen, ein paar Schränke, ein Tischlein, that's all. Einen Fernseher gab es zwar auch aber auf den hätte ich gern zugunsten von ein paar mehr Steckdosen verzichtet. Ich hatte diesmal meinen Schlepptopf mit, was auch besser war, denn Internet gab es nur per Wifi. Nun ja, setzt ich mich halt draußen hin zum surfen…

Genug der Vorrede: Kommen wir zum Festival. Das begann relativ pünktlich mit einem ansprechenden DJ-Set von einem Herrn Bambule - keine allzu schlechte Idee, so anzufangen, denn dann langweilen sich die bereits eingetrudelten Gäste nicht.
Als erste betraten die englischen THEME die Bühne, eine Band, von der ich bisher noch nichts gehört hatte. Grob lässt sich das Ganze als eher experimenteller Industrial einsortieren. Ein junger Mann mit Labtop, eine Dame an einem selbst gebauten, phantastisch anmutenden Klangerzeugergerät und diverser Elektronika und ein Sänger, der energetisch über die Bühne hirschte und seine eindrucksvoll seine Inhalte unters Volk brachte. Dabei erinnerte er mich ein wenig an Andy Sexgang sowohl in Punkto Aussehen als auch in Bezug auf die Intonation seines Sprechgesangs. Recht interessant aber irgendwie fehlte dem Ganzen die Spannung. Nach einigen Stücken kam nicht mehr viel Neues und so litt die Aufmerksamkeit merklich.

Es folgten BEEQUEEN aus den Niederlanden, von denen ich eigentlich einen fetten Ambient erwartete. Tatsächlich gab es dann 60ies Surf Pop - totally twang - mit einer zugegeben liebreizenden Sängerin, doch überzeugen konnte mich das Ganze nicht. Ein ziemlicher Reinfall aus meiner Sicht. Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen diese Art Musik habe, nur bei einem Industrial-Festival ist sie fehl am Platze.

Das Gleiche wird mancher vielleicht über CLAIR OBSCURE sagen, doch ich fand die Franzosen mit ihrem abgefahrenen Cold Wave einfach großartig. Die Brüder Demarthe spielten meist zu zweit, am Ende verstärkt um eine Bassistin Hits wie "Blume", "Tundra" und den CO2-Kracher "Barake", also vor allem sehr alte Stücke. Besonders beeindruckend dabei die Gestik und Mimik von Sänger Christophe. Sehr schön auch das Hintergrundvideo aus dem Leben der Hochseefischer, wenn auch mir nicht ganz klar ist, welch inhaltlicher Zusammenhang da bestand. Macht aber nichts...

Eines der Highlights des Abends aus meiner Sicht waren CINDYTALK, die einen sehr interessanten psychedelischen Sound auf die Bühne brachten. In großer Besetzung: Schlagzeug, Bass, Gitarre, Labtop erzeugte die Band eine fließende, vielschichtige Klangkulisse ohne dabei auf eine echte Songstruktur zu verzichten. Dreh- und Angelpunkt des Geschehens war Sänger/in Gordon Sharp, der/die im roten Kleid und mit expressiver Gestik die Bühne beherrschte. Sehr interessantes Projekt, mit dem ich mich auf jeden Fall noch näher beschäftigen muss.

Es folgten ESPLENDOR GEOMETRICO. Zu den Spaniern viel zu sagen, heißt Eulen nach Athen zu tragen. Rhythmus-Industrial vom Feinsten. Besonders eindrucksvoll wird deren Vortrag immer dann, wenn Arturo zum Mikrophon greift und die Stimmung anheizt. Großartige Feiermusik, zu der der Saal tobte.

Zu KONSTRUKTIVISTS lässt sich Ähnliches sagen, wie zuvor zu Theme - interessant aber auf Dauer dann doch zu wenig Highlights und / oder Spannung. Frontmann Glenn Michael Wallis tigerte mit freiem Oberkörper und wahnsinnigen Blick über die Bühne, auf Dauer war aber auch das nicht so wahnsinnig unterhaltend.

CHRISTBLOOD aus Polen, auf die ich mich gefreut hatte, spielten als Letzte - mit einer etwa einstündigen Verspätung. Das ist zwar nicht wirklich viel, bei solch einer Menge an Bands aber schon etwas traurig, wenn es bereits 3 Uhr morgens ist. Ein paar Unerschrockene inklusive meiner Person hatten doch ausgehalten - ganz bis zum Schluss blieb ich dann aber doch nicht. Christblood stehen für einen orchestral-mystischen Sound - eine Art Cold Meat ohne Pathos - mit exzessivem Vokalanteil. Ich fand's großartig - insbesondere die hexenhafte Sängerin beeindruckte mich.


Samstag

Diesmal war ich auch schon wieder recht zeitig in der Lokalität, so dass ich das DJ-Set von Dirk Ivens mitbekam. Ehrlich gesagt, toll war das nicht. Klassisch Grufti-Großraumdisko. Dann doch lieber Dive live…
Den Opener des Abends kamen die Hausherren von JOB KARMA. Ich muss gestehen, dass ich recht unkonzentriert war. Die Polen mit ihrem anspruchsvollen Synthie Pop und dem fantastischen Video habe ich nun schon oft gesehen, so nutzte ich die Zeit zur Konversation.
NON TOXIQUE LOST, eine alte deutsche Industrial-Band, von denen ich zugegebenermaßen bisher noch nichts gehört hatte, waren zwar soundtechnisch ganz interessant, wirklich mitgerissen hat mich die Show der beiden älteren Herren nicht. Das mag aber daran liegen, dass dies keine Musik für die große Bühne ist. Ich werde mich auf jeden Fall mal näher mit dem Projekt beschäftigen. Sehr interessante Leute!
Es folgten die japanischen CONTAGIOUS ORGASM - ein Duo mit allerhand Effektgeräten. Der Sound ist dann verhältnismäßig freundlich, nicht zu krass, elektronisch und abwechslungsreich. Elektronika at it's best.
Es folgte der absolute Tiefpunkt des Festivals, die französischen DERNIERE VOLONTE. Ich will ich nicht über die politischen Ansichten dieses Projektes ausbreiten, die ist mir eigentlich auch egal. Aber das, was allgemein als Military Pop bezeichnet wird, war in meinen Ohren ein unerträglicher Weichspüler Pop, der durch Goeffrys alberne Beckenbewegungen und sein Star-Auftreten für mich so anstrengend wurden, dass ich den Raum verließ. Draußen lästerten wir dann "Y.M.C.A.". So ein Müll…
SPIRITUAL FRONT passten wie Derniere Volente zwar bei genauer Betrachtung nicht auf ein Industrial Festival aber in Wroclaw wird das ja seit jeher nicht so eng gehandhabt. Fans hatten die Italiener auf jeden Fall genug aktiviert und ihr leicht sentimentaler Pop kam gut an - ebenso wie die Kommunikation mit dem Publikum. So erzählt Simone unter anderem, dass sich niemand vorschreiben lassen soll, welche Sexualität er lebt, was bei den Anwesenden gut ankommt. Die katholische Kirche Polens fand das bestimmt nicht so lustig :-)

Danach wurde es wieder richtig industriell oder sagen wir eher "noisig", denn Mike Dando aka CON-DOM stand auf der Bühne. Die meiste Zeit war seine Musik eher "ambient", soll heißen eher ruhig und ohne allzu viel Energie, doch zwischenzeitlich gab es einen ordentlichen Ausbruch, zu dem sich die Fans ordentlich durch die Gegend schubsten. Feine Sache, nur etwas zu kurz und wie gesagt in Summe etwas ruhig.
Diese "Ruhe" war dann auch ein wenig das Problem der Berliner KUNST ALS STRAFE - gegen halb drei Uhr morgens war es reichlich schwer, den psychedelischen Improvisationen zu folgen, die eher zum Abdriften einluden. Trotzdem sehr schöne Musik, die sich vielleicht besser als Opener geeignet hätte.


Sonntag

Der spannendste Abend war für mich auf jeden Fall der Sonntag, denn die Bands, die an diesem Abend spielten, hatte ich allesamt noch nicht live gesehen. Wobei das meiste natürlich Labtop-Artisten waren, aber was soll's. Die Lokalität befand sich direkt unter der Gothic Hall in einem kleine Club, der sich aber als ausreichend für den Abend erwies.
Das Wroclawer Ein-Mann-Projekt INNER VISION LABORATORY bot einen leicht ethno- und Klassikangehauchten Dark Ambient. Die aus Poznan stammenden [HAVEN] gingen hingegen mehr in Richtung tanzbarer Elektronik, live wurden die beiden "Knöpfchenschrauber" von einem Bassisten und einer Sängerin unterstützt. Feine Sache!
Es folgten BENICEWICZ, ein umtriebiger Künstler aus Wroclaw, der sich für sein akustisches Projekt der Begleitung einer jungen Frau versichert hatte. Die Musik ließ sich im weitesten Sinne als experimentell-elektronisch einsortieren, wenn auch das Ganze nicht zu gefällig war. Jazziges fand ebenso seinen Eingang wie Club-Rhythmen und Ambiente Flächen (http://www.myspace.com/benicewicz).
Mein Favorit des Abends war natürlich VILGOC, ein einheimisches Power Electronics-Projekt. Der Sound war fett, die Performance richtig geil, wie sich der Protagonist unter die Zuschauer warf und über den Boden robbte und dabei mit dem Abnehmer über den Boden kratze, so dass der harsche Sound noch eine zusätzliche schmerzhafte Komponente bekam. Ein großartiger Abschluss der Konzerte. Danach wurde nur noch wild bis in die Morgenstunden gefeiert.

Alles in allem wieder ein sehr schönes, stilistisch gut durchmischtes Festival. Nächstes Jahr auf jeden Fall wieder!

 

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