8. Wroclaw Industrial Festival (6. bis 8. November 2009, Gothic Hall, Wroclaw)

Das Wroclaw Industrial Festival gehört mittlerweile zu den besten Festivals der Szene in ganz Europa, auch aufgrund der sehr weiten Fassung des Begriffes Industrial und der Vielzahl großartiger Künstler, die hier auftreten. Da Wroclaw gerade einmal 330km von Dresden entfernt ist, ist es zudem noch eines der naheliegendsten für uns. Ganz zu schweigen davon, dass es in Polen, was die Preisgestaltung betrifft, immer noch sehr günstig ist. Mehr als genug Gründe also, den Event zu besuchen, wenn es auch kaum möglich ist, das volle Programm in Augenschein zu nehmen, dafür bräuchte man fast eine Woche Urlaub. Wir entschieden uns diesmal dafür, von Freitag bis Sonntag anwesend zu sein. Unsere Unterkunft fanden wir in einer spartanisch eingerichteten Herberge für Arbeiter, die aber sauber und preiswert war - für uns genügte dies, schließlich waren wir nicht zum im-Zimmer-Rumsitzen angereist.

Freitag
Nach der ersten Stärkung mit Blechbrötchen ging es in Richtung des Veranstaltungsortes, der Gothic Hall mitten im Zentrum der Stadt. Den Opener gaben die Tschechen AKIMBO mit einem sehr konventionellen Electro-Industrial-Metal, der an Vorbilder wie Ministry, Skinny Puppy etc. denken ließ. Sehr schön war vor allem das genretypische metallische Instrumentarium. Nicht unbedingt innovativ aber ganz unterhaltsam.
Das erste Highlight des Abends waren dann schon GERECHTIGKEITSLIGA, die einen ganz eigenen Sound entwickelt haben, der sich nur schwer einsortieren lässt. Gegründet bereits zu Beginn der 1980, ist die Band nach 20-jähriger Pause seit 2005 wieder aktiv. Das war bereits der zweite Auftritt, dem ich beiwohnen durfte und ich muss gestehen, dass mich das Ganze immer irgendwie ratlos zurücklässt. Irgendwie kann ich nicht auf den Sound einschwingen. Die Ausstrahlung von Sänger Till Brüggemann ist beeindruckend - er wirkt immer sehr entrückt auf der Bühne - das und Livedrumming macht auch einiges her. Der Wunsch, mir einen Tonträger des Kollektivs zu sichern, löst das Ganze jedoch nicht aus. Dabei ist die Band wirklich gut, nur passen wir wohl irgendwie nicht zusammen…
Dafür gefiel mir ILLUSION OF SAFETY richtig gut. Herrlich wirre und abgefahrene Sounds aus dem Computer, mit zahllosen Richtungswechseln und Überraschungen. Da wird alles verwurstet, was sich in Klangform abspeichern lässt. Das klassische Liveproblem dieser Musik - ein Mann sitzt hinter seinem Labtop - umging ich, indem ich mir Macher Dan Burke aus der Nähe betrachtete.
SAVAGE REPUBLIC verpasste ich dann zum großen Teil, da ich mein holdes Weib zur Unterkunft brachte. Das war ein wenig schade, da ich den Postpunk-Indierock-Sound der Amis und ihre abgefahren-energetische Performance mag. Aber ich hatte sie ja schon einmal in Prag erleben dürfen. Sänger Thom Fuhrmann erinnert mich immer ein wenig an Joker aus Bat Man ;-)
SOISONG, die Kollaboration von Peter Christopherson und Ivan Pavlov riss mich dann überhaupt nicht vom Hocker. Mehr als "ganz nett" fällt mir dazu nicht ein. Trotz Parallelen zu Coil wusste mich der psychedelische elektronische Sound nicht zu überzeugen.
Vielleicht lag das auch daran, dass Soisong eher sehr ruhig und ich schon auf BRIGHTER DEATH NOW eingestellt war. Die "alten Schweden" sorgten dann erstmals dafür, dass ordentlich Bewegung in die Massen kam und vorn wie wild gepogt wurde. Roger gab natürlich wieder das Arschloch (wie dann auch nach dem Auftritt), griff sich in den Schritt, legte sich mit dem Publikum an und sorgte so dafür, dass die Party richtig abging. Die Godfathers of Death Industrial sind live eigentlich immer großartig. Sehr schön war auch das Bühnenbild mit der "Wand" aus Parolen bzw. Begriffen.
Den Abschluss des ersten Abends bildeten NAEVUS von denen ich aber aus Desinteresse nicht allzu viel mitbekommen habe. Ich konnte die Band schon mal beim WGT 2008 erleben aber das ist einfach nicht meine Musik.

Samstag
Abend zwei eröffneten die polnischen PRAWATT, drei Herren die in Priesterverkleidung hinter einem Equipment beladenen Tisch standen. Einer der Musiker kam gelegentlich hinter der Technik hervor und spielte E-Gitarre oder sang. Insgesamt recht angenehm und abwechslungsreich zwischen Indie und Electronica, eine positive Entdeckung.
Am Oktopussi-Techno von FLINT GLASS kann ich hingegen nicht viel Interessantes entdecken - der übliche beatlastige Electrosound aus dem Rechner halt. Durch die alberne Maske wird das nicht besser.
Die nachfolgenden SUTCLIFFE JUGEND waren aus meiner Sicht da wesentlich interessanter, wenn auch an diesem Abend extrem ruhig. Über weite Strecken lies sich das Gebotene als Ambient einsortieren, wirklich Ausbrüche gab es nur selten. Schade, da hatte ich ein klein wenig mehr erwartet.
Auf den Auftritt von KNIFELADDER hatte ich mich besonders gefreut und ich wurde auch nicht enttäuscht. Die Damen und Herren um John Murphy lieferten eine gepflegte Show ab, bei der "Hits" wie "Scorched Earth" nicht fehlen durften. Großartige, zum Teil schon rituelle Musik, die den "Industrial der alten Schule" pflegt, der zahllose live gespielte Sounds integriert und sich niemals dem Hörer mit eingängigen Strukturen oder stumpfen Beats anbiedert.
Es folgte das absolute Highlight des Abends: PSYCHIC TV, die ich bereits zum dritten Male erleben durfte. Insofern blieb mir die Enttäuschung manch anderer Besucher erspart, die eher Throbbing Gristle-artige Sounds erwartet hatten. Fehlanzeige! Psychic TV machen schönen, fetten Psychedelic Rock, der eigentlich niemandem an seinem Platz stehen lässt. Das Publikum zeigte sich begeistert und feierte mit, Genesis war sichtlich gerührt. Insgesamt eine sehr kraftvolle Show, die vielleicht nicht unbedingt als Industrial durchgeht aber wen interessiert das schon?
Nach dem Konzert strichen wir für diesen Abend die Segel, wodurch ich MONA MUR & EN ESCH verpasste, was mich aber nicht allzu sehr störte. Ich hatte mir die Sachen vorab schon mal angehört und konnte mich für den pompösen Pop mit Brecht-Weil-Einschlag nicht erwärmen. Ein Freund war hingegen schwer begeistert, insbesondere von der Ausstrahlung der Dame. Verpasst habe ich auch die polnischen NIHILISTA, die wohl ein rechtes Kasperletheater boten, das niemand brauchte. ELECTRIC URANUS nicht zu haben, die wohl auch noch spielten, ist jedoch etwas schade.

Sonntag
Am Sonntag fand das Konzert wieder in dem gleichen besetzten Haus statt, wie bereits in den Jahren zuvor. Wer da eigentlich wer war und in welcher Reihenfolge die Bands spielte, lies sich nur bedingt nachvollziehen - leider gab es auch keine Running Order und Links auf der Festivalseite leider auch nicht. Meiner Meinung nach spielten erst KREW Z KONTAKTU, dann INFAMIS, KOTEL#26 und zum Schluss YARRDESH.
Im Einzelnen kann ich mich nicht mehr an alles erinnern - wir waren an dem Abend alle ordentlich zu. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, war der Abend für mich der schönste, da "undergroundig" und geeignet, Neues zu entdecken. Die tschechischen und polnischen Projekte mussten sich nicht hinter denen aus anderen Ländern verstecken, wenn ich mir auch gut vorstellen kann, dass sie noch weiter ab vom Mainstream sind, als Industrial-Projekte hierzulande. Hervorzuheben sind auf jeden Fall Krew z Kontaktu mit einem albernen Splatterfilm im Hintergrund und abschließender Spaß-Performance sowie die sehr spielfreudigen Kotel#26.
In der Kneipe der Location wurde dann noch bis in die frühen Morgenstunden gefeiert, ich klinkte mich aber rechtzeitig aus.

Bandlinks:

Akimbo
Gerechtigkeitsliga
Illusion Of Safety
Savage Republic
Soisong
Brighter Death Now
Naevus
Prawatt
Flint Glass
Sutcliffe Jügend
Knifeladder
Psychic TV
Mona Mur & En Esch
Nihilista
Electric Uranus
Krew Z Kontaktu
Kotel#26
Infamis
Yarrdesh

 

Fotos (Links zu weiteren Fotos findet Ihr auf der Festivalseite)

 

zurück        nach oben