Satanstornade, Whitehouse & DJ Aphex Twin
Volksbühne Berlin, Sonntag 30. März 2003

Wer dieses Konzert verpasst hat, der sollte sich erst einmal schämen, um sich dann zu ärgern. Auch wenn das Jahr noch jung ist, erlaube ich mir zu vermuten, dass die Messlatte für alle anderen Events unweigerlich zu hoch liegt. Diesen Abend "zu toppen", wie es neudeutsch heißt, sollte unmöglich sein:

PURE BRAINFUCKING NOISE!

Hier eine Chronologie der Ereignisse. Als wir uns gegen 18 Uhr unsere zum Glück vorbestellten Karten abholten, lungerten einige hoffnungslose Menschen vor den Toren des Kulturbetriebes. Schon hier zeichnete sich rein äußerlich ab, dass wohl vor allem Aphex Twin als Zugpferd hergehalten hatte. Ein genialer Schachzug der Veranstalter, schließlich kennt diesen Namen jeder und wenn sich schon mal die Gelegenheit ergibt, nimmt mancher so einen Abend mit, auch ohne zu wissen, wer Merzbow oder Whitehouse ist. Die Volksbühne war also - wie zu vermuten - ausverkauft und damit rappelvoll. Beim Öffnen der Saaltüren stürzten die ganzen Freaks in den beeindruckenden Vorstellungsraum und besetzten alle vorderen Plätze. Die Bühnensituation war dann aber alles andere als verlockend: dreißig Meter von seinen Helden wegzuSITZEN versprach nicht allzu gute Unterhaltung. Tja, bis jemand auf die Idee kam, einfach auf die Bühne zu gehen und siehe da, die Security schritt nicht ein! Also nix wie vorgerammelt und auch dort die erste Reihe gesichert. Ohrenschutz angelegt und los konnte es gehen! Den Abend eröffneten Satanstornade, das Projekt von Merzbow-Macher Masami Akita und Warp-Artist Russel Haswell. Man stelle sich das so vor: Zwei etwa 40ig-jährige Männer, einer davon langhaarig, bebrillt und Japaner, betreten die Bühne, verschanzen sich hinter ihrem Equipment und werfen die Laptöpfe an. Und dann folgt ein Gewitter! Unbeschreiblich. Noise, geballte Power, kaum Rhythmus, ein Stromschlag. Ich dachte mir platzt der Schädel, aber das wäre ein gigantischer Zeitpunkt für ein Ableben gewesen. Die Urheber des Kraches blieben die ganze Zeit stoisch hinter ihren Werkzeugen sitzen und schauten gelassen auf das, was sie da anrichteten. Und das alles in einem glasklaren Sound, ultrabrutal laut, absolut freak-kompatibel. Ich bin mir sicher, dass es hier selbst die Herren von Winterkälte nicht auf ihren Plätzen gehalten hätte. Meinen ganz persönlichen Kick holte ich mir beim Abtasten der Boxen. Wer schon einmal seine Klamotten im Basssturm getrocknet hat, der weiß, wie ich mich gefühlt habe…

  

Der Beweis: Ich war dabei! ... und habe Phil den Stinkefinger gezeigt.
Danke an Lutz für die Bilder.


Whitehouse hatten es nach dieser Dezibel-Katharsis natürlich etwas schwerer mich aus der Reserve zu locken, doch die Entertainer Philip Best und William Bennett gaben sich allergrößte Mühe (Leider war Peter Sotos nicht anwesend). Whitehouse live muss man sich wie ein Altherren-Kasperle-Theater mit Geräuschuntermalung vorstellen. Da wird gepost, geschrieen, was die Lunge hergibt, im Stechschritt über die Bühne marschiert und das Publikum angemacht. Letzteres hat seinen Part als Anheizer zu spielen und bewirft die Musiker mit allem, was grad greifbar ist. (Besonders beliebt sind halbvolle Bierbecher.) Die Musik ist alles, nur nicht harmonisch oder rhythmisch und eigentlich gar keine Musik sondern psychoaktiv-psychopatischer Klang oder kurz gesagt Krach. Manchmal frage ich mich, wer sich so etwas anhört, was das für Leute sind… Ach so, ich gehöre ja auch dazu. Also ich für meinen Teil gebe mir Whitehouse und Konsorten immer dann, wenn ich meinen Kopf freispülen muss, wenn sich der ganze Dreck der beschissenen Welt endlich mal wieder lösen soll. Das spart das Geld für die Psychotherapie und sollte allen kranken Zivilisationsmenschen empfohlen werden. Besser wird die Welt davon sicher nicht, aber vielleicht werden ein paar Kriege weniger geführt.

Zurück aber zum Abend in der Volksbühne. Nach Satanstornade und Whitehouse war ich eigentlich schon schön fertig und hätte problemlos nach Hause fahren können, aber es stand ja noch Richard D. James alias Aphex Twin als DJ an und wenn man schon mal die Gelegenheit hat… sollte man auch mal einen Blick auf solch eine Berühmtheit werfen. So schlich ich mich denn durch die Massen auf Sichtweite des V.I.P.-Plattendrehers heran und erspähte einen recht normal aussehenden Typen, der mit seinen langen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren und Dreitagebart durchaus ein Sozialarbeiter hätten sein können. Verrückte sehen immer am Normalsten aus. Solcherart zufrieden gestellt, setzte ich mich dann irgendwo in die Ränge und schaute mir das Ganze aus der Entfernung an. Musikalisch bot Aphex Twin als DJ eine ziemlich straighte Mixtur aus angenoistem Techno, Breakbeats und Industrial. Na gut, so besonders war das nicht, aber ganz nett. Nach einer Weile schaute ich mich noch im Foyer um, und siehe da, da saßen Alec Empire und Hanin Elias von den Computerkinderaufständigen. Siehste mal, in Dresden wäre maximal Rolf Hoppe durchs Bild gehuscht. Berlin ist halt eine Weltstadt.

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Weitere Bilder bei Susan Lawly: www.susanlawly.freeuk.com

 

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