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Burg
Herzberg Festival
Donnerstag 17. bis Sonntag 20. Juli 2008
Do / Fr
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Die Hippies waren immer die
Feinde der Punks. Liebe und Frieden, Ökolatschen und alles so schön
bunt hier. Beim Industrial sieht dies ein wenig anders aus. Vieles von
dem, was gern als Krautrock bezeichnet wird, inspirierte die erste Musikergeneration.
Steven Stapleton von Nurse With Wound hat sich nicht nur einmal als Fan
explizit der deutschen Szene der späten 60er, frühen 70er Jahre
zu erkennen gegeben. Warum also nicht einmal ein Festival besuchen, auf
dem einige der bekanntesten Bands dieser Zeit, namentlich Guru Guru, Grobschnitt,
Birth Control und Bröselmaschine live zu erleben sind? Also, nichts
wie auf ins hessische Breitenbach am Herzberg zum Burg Herzberg Festival,
das in diesem Jahr auch noch seinen 40. Geburtstag feierte.
Donnerstag
Wir erreichten Breitenbach
am Herzberg Donnerstagabend. Nachdem wir leider die angegebene Autobahnausfahrt
nicht nutzen konnten, da diese gesperrt war, mussten wir eine schätzungsweise
25 Kilometer weite Umleitung in Kauf nehmen. Pech halt. Im Ort angekommen,
wiesen uns Ordner darauf hin, dass wir zur Autoeinfahrt noch ein Stück
fahren müssten und dass es länger dauern könnte. Das tat
es auch, denn die Fahrzeuge - von gut bürgerlich bis typisch Hippie,
die Insassen vom jungen Rasta über den gealterten Rocker bis hin
zum eher seriös wirkenden älteren Herren - stauten sich vom
Einlass aus kilometerweit zurück. Bis wir es auf den Campingplatz
geschafft und unser Zelt aufgebaut hatten, dauerte es über zwei Stunden.
Natürlich kann man das für organisatorisches Versagen halten
aber es gehört schon Einiges dazu, einen Pferdeacker "just in
time" in einen Stellplatz für tausende Autos und Zelte umzuwandeln.
Vielleicht wäre es etwas schneller gegangen, hätte man mehr
Leute am Einlass gehabt, die Bändchen verteilten
Müßig
darüber zu philosophieren. Als wir es endlich geschafft haben, ist
das Konzert von Birth Control leider schon
passé und auf die Ton Steine Scherben-Familie haben wir keine Lust,
also setzen wir uns in die "Bar jeder Sinne" - müsste es
nicht eigentlich "Bar aller Sinne" heißen - und beginnen
das Festival mit der Konsumption von reichlich Alkohol im Kreise anderer
Besucher, deren Beobachtung bei uns für beste Unterhaltung sorgte.
Wir werden sicher auf gleiche Art "abgecheckt", so ist das nun
mal. Sehr angenehm ist die altersmäßige Durchmischung, wobei
natürlich besonders die alten Freaks optisch interessant sind. Da
sind Jahre wilder Feten ins Gesicht gebrannt
Ein Wort vielleicht noch zu den Preisen: Der 0,4 Liter-Becher Bier kostete
3,00 Euro, der Kaffee 1,50 Euro, nur mal so zum Vergleich. Nicht grad
billig aber schließlich waren wir bei einem Festival und dazu noch
im Westen. Kein Grund also zur Erregung. Lagetechnisch befindet sich das
Festivalgelände im absoluten "Niemandsland" - auch in Bezug
auf die Kosten ist es also sinnvoll, sich das Auto mit allerhand Ess-
und Trinkbarem vollzupacken. Was die Festnahrung betrifft, gibt es einige
akzeptable Angebote, so zum Beispiel eine Portion "Himalaja Reis"
- Reis, überbackener Blumenkohl, Salat, Joghurt-Kokos-Soße
und ein Fladen - für vier Euro, schmackhaft und sättigend; verhungern
muss man also nicht. Der Eintrittspreis für das Festival beträgt
60 Euro im Vorverkauf - für vier Tage mit insgesamt über 40
Programmpunkten empfinde ich das gerechtfertigt. Was die Karte an der
Abendkasse kostete, habe ich nicht nachgefragt. Laut letzten Informationen
wird der Preis im nächsten Jahr aber deutlich steigen (70 Euro im
Vorverkauf). Das Leben wird halt immer teurer
Freitag
Am Freitag versuchen wir erst
einmal die Gegen zu erkunden und einen Bäcker mit Kaffee und lecker
Brötchen zu finden. Das stellt sich als einigermaßen schwierig
heraus, da wir das Auto stehen lassen und zu Fuß gehen - eine neuerliche
zweistündige Wartezeit beim Auffahren auf das Festivalgelände
wollen wir nicht in Kauf nehmen. Wir tramplen also an der Bundesstraße
entlang ins Nachbardorf und werden dort weitergeschickt. Nach sieben,
acht stressigen Kilometern direkt am Highway erreichen wir endlich Breitenbach,
wo es auch einen Bäcker und eine kleine Einkaufsstelle gibt. Nachdem
wir uns versorgt haben, suchen wir nach einer Möglichkeit, mit dem
Bus zurückzufahren aber das stellt sich als unmöglich heraus.
Die Eingeborenen haben keinerlei Ahnung, wann etwas fährt - "das
letzte Mal hab ich den Bus vor 15 Jahren benutzt" - und der Blick
auf den Fahrplan verrät, dass es gute Gründe dafür gibt.
Das öffentliche Verkehrsmittel fährt ein-, zweimal am Tag und
auch nur an Schultagen oder wenn die Sonne nicht höher als 15 Grad
steht. Sch
Bevor wir den Rückweg, diesmal über Wanderwege, antreten, gehen
wir noch in den Gasthof Breitungen, der wie sich herausstellt, die Zentrale
der Veranstalter außerhalb des Festivalgeländes ist. Frisch
gestärkt mit absolut hippyuntypischer Kost wandern wir auf einigermaßen
verschlungenen Pfaden zurück. Nach einigem Suchen erreichen wir die
namensgebende Burg,
von der aus schon das Festival zu hören und zu sehen ist. Jetzt wird
es langsam knapp und wir müssen uns beeilen noch rechtzeitig zum
ersten Highlight des Festivals, zum Konzert von Rainer von Vielen, einzutreffen.
Dies gelingt uns dann auch
mit einiger Anstrengung - zum Glück gibt es eine kleine Verzögerung.
Wir verfolgen im Kreise von allerhand anderem bunten Volk die energetische
Show des Meisters, der neben den uns bekannten Stücken von der einfach
"Rainer
von Vielen" betitelten CD auch neueres Material spielt. Letzteres
ist OK, trifft aber nicht ganz so meinen Nerv wie die alten Stücke.
Live macht es aber auf jeden Fall Spaß zuzuschauen, wie Rainer und
seien Band abgehen und die Fans vor der Freakstage mitreißen. Die
Suche nach einem Merchandising-Stand verläuft leider erfolglos, stattdessen
finden wir einen Herrn, der selbstgebrannte CD-Bootlegs von Livekonzerten
unters Volk bringt. Ganz schön mutig, der Kollege
Zeitgleich zu von Vielen spielt Bröselmaschine,
die älteste aktive Folk-Rockband des Landes, wenn man dem Programmheft
glauben darf. Die Optik der Musiker um Peter Bursch bestätigt diese
Aussage - auf der Bühne stehen mehrere Herren jenseits der 50 und
eine etwas jüngere Dame - das Alter schätze ich aus Höflichkeit
aber nicht. Die Musik ist so, wie es die Ankündigung verspricht:
Folkrock. Deutlich hört man der Musik ihre Entstehungszeit an. Schöne
Melodien, immer ein wenig schwelgerisch, durchtränkt von Melancholie
und stets leicht pathetisch. Gitarrensoli, Satzgesang, Blockflöte.
Die Musiker sind gute Handwerker und wissen ihr schon betagteres Publikum
immer noch zu begeistern. Showhighligt, der ansonsten sehr ruhigen Band:
Die Sängerin macht auf dem Rücken eines Verehrers und geschmückt
mit einer Federkrone einen Ausflug ins Publikum.
Nach Bröselmaschine bleiben wir gleich vor Ort und schauten uns Götz
Widmann an, der hier im Westen offensichtlich bekannter als bei
uns. Dies ließ sich vor allem daraus schließen, dass viele
der zahlreichen Zuhörer die Lieder Widmanns kannten und mitsangen.
Kein Wunder, passte das Ganze doch auch hervorragend aufs Festival: Es
ging mit viel Humor und einigem linken Sarkasmus angerichtet, um Cannabis
und Alkohol, Liebe und Sex, den Staat und Großkonzerne. Widmann
ist, obwohl nur mit Gitarre bewaffnet, kein typischer Liedermacher - wie
heißt es auf seiner Website so schön - extreme Liedermaching
halt.
Es folgen Grobschnitt,
die ihren Auftritt mit einer kleinen Showeinlage beginnen, bei der mehrere
"Polizisten" die Bühne stürmen und mit Gummiknüppel
rumfuchteln. Das Publikum kannte offensichtlich das zugehörige Stück
und feiert sofort los. Persönlich konnte ich mit der Musik nicht
viel anfangen. Ich hatte Grobschnitt schon mal gehört - ein Freund
borgte mir ein paar alte Kassetten. Das was hier live rüberkam, hatte
jedoch keinerlei nostalgischen Charme. Das war Stadionrock, handwerklich
gut gemacht aber sterbenslangweilig. Die selbstverliebten Ansagen und
das vor Eitelkeit triefende Auftreten der Musiker machten das Ganze nicht
wirklich besser. Als ich später am Abend noch mal vorbeischaute,
sind Grobschnitt nach fast drei Stunden Spielzeit bei einer Art Revue
angekommen. In Erinnerung ist mir der Titel "Mary Jane" geblieben,
bei dem eine Gastsängerin als Vogelscheuche verkleidet auf der Bühne
auftauchte und in schönster Musical-Manier im Duett mit Sänger
"Willi Wildschwein" flötete. Später tauchte die Dame
als Rockerin auf - total albern und überflüssig. Ich komme mir
vor, wie im Musikantenstadl
Da Grobschnitt eher nerven gehe ich zurück zur Bar jeder Sinne, von
wo man die Freakstage hören und nach wenigen Schritten auch erreichen
kann. Dort spielt gerade die Reggae-Ska-Formation Dr.
Woogle & the Radio aus Weinheim City, wie es die Musiker auf
ihren T-Shirts verkünden. Die Musik ist sehr energetisch, insbesondere
die schmissigen Bläsersätze und die fein ziselierten Keyboard-Klavier-Einlagen
sind atemberaubend. Die Musiker haben Spaß an dem, was sie tun und
das merkt man ihnen an. Dann taucht leider wieder der reichlich albern
wirkende Sänger auf der Bühne auf - weißer Anzug, 70er-Kassengestell-Brille
- und kalauert die Show kaputt. Auch wenn er ganz gut singen kann und
sicher kein schlechter Entertainer ist - mit seinem Gekasper macht er
die Musik kaputt. Etwas schade.
Samstag
Den Samstag beginnen wir wieder
an der Bar jeder Sinne bei einem Kaffee. Dort spielt das Schweizer Quartett
Ginger eine geile Mischung aus Blues, Funk und Psychedelic
Rock angereichert um Trompetensoli - für mich eines der besten Konzerte
auf dem Festival. Wenn man bedenkt, dass die Musiker noch sehr jung sind,
dann sollte man die Truppe unbedingt im Auge behalten!
Einer der den Schweizer vielleicht als Vorbild dient, ist Louisiana
Red, eine Südstaaten-Blues-Legende. Der alte Mann - er zählt
76 Jahre! - sitzt im weißen Anzug auf der gossen Bühne und
spielt seine elementare Musik völlig unbeeindruckt und voller Leidenschaft,
genauso als wenn er in der heimischen Kneipe säße. Wirklich
großartig!
Nach diesem Konzert trappeln wir auf die nahe gelegene Burg
hoch und besichtigen das alte Gemäuer. Es fängt ordentlich an
zu schütten und so bleibt uns nichts weiter übrig, als dort
Bier trinkend abzuwarten, bis sich das Wetter etwas einkriegt.
Wir sind wieder auf dem Festivalgelände, als Sebkha
Chott aus Frankreich spielen, für die man die Freakstage
höchstwahrscheinlich erfunden hat. Optisch und musikalisch ein wilde
Melange aus allem, was geht und nicht geht, einfach nur unbeschreiblich.
Die Typen auf der Bühne sehen aus, wie aus der Klappse entflohen
- verkleidet als Ritter, Pirat, Gigolo, Blue Man oder Haremsdame mit zwei
gigantischen Gummipenisen am Kopf. Die Musik ist entsprechend wirr - Jazz
trifft auf Black Metal auf Schlager, Operngesang auf Ska und Disco. Und
das möglichst alles in einem Stück. Absolut krank aber auch
umwerfend unterhaltsam. Steve
Harley and Cockney Rebel, die wir zwischenzeitlich kurz besichtigen
wirken mit ihrem netten "Britpop" dagegen wie aus einer anderen
Welt, bieder und langweilig. Trotzdem ist der Meister absolut von sich
überzeugt und versucht mit großen Gesten das Publikum zu motivieren.
Nach wenigen Minuten gehen wir zurück zu den verrückten Franzosen
und schauen uns lieber deren durchgeknallte Show zu Ende an. Dann fängt
es tierisch an zu regnen, wir aber sitzen glücklicherweise schon
wieder in der Bar jeder Sinne. Im überfüllten Zelt spielt eine
junge Band, deren Namen ich leider vergessen hab, die aber ein wenig
an Nirvana erinnert. Sehr schöne Sache und wir sind zumindest von
außen trocken.
Der Regen nimmt kein Ende und so beschließen wir, den Rest der Bands
in den Wind zu schießen und uns zeitig schlafen zu legen - zumal
nicht abzusehen ist, ob und wann die Waterboys,
Motorpsycho und Korai
Öröm überhaupt noch spielen. Etwas schade, aber
das Festival zehrt ganz schön an den Kräften
Sonntag
Einigermaßen erfrischt
beschließen wir, den Sonntag ruhig angehen zu lassen und hauptsächlich
abzuhängen. Die Ersten, die wir an diesem Abschlusstag des Festivals
zu Gesicht bekommen sind Ornah-Mental.
Das Projekt von Dirk Schlömer (Ton Steine Scherben, Amygdala, Das
Zeichen) spielt meditative Weltmusik mit Einflüssen von rund um den
Globus. Die hauptsächlich instrumentelle Musik ist mir jedoch etwas
zu seicht, klingt wie aus der Esoecke.
Richtiggehend flach wird es dann bei den bayrischen Weisswurscht
is, die ihre Show als Musikclownerie verstehen. Ich würde
das ganze als pseudolinkes, klischeeüberladenes Kasperletheater bezeichnen.
Da trällert man in schreibunten Klamotten von der Bühne "Solidarität"
und ähnliche Schlagworte, doch eigentlich widerspricht das ganze
Erscheinungsbild der Aussage. Vielleicht kann man damit im Jugendzentrum
vom Hocker reißen, ich empfinde so was nur als peinlich. Aber die
Schmerzgrenzen sind ja zum Glück verschieden hoch oder niedrig.
Nach einigen Minuten musikalischer Tortur verließen wir den Ort
des Geschehens und vertrieben uns die Zeit bis zu Monty
And The Butchers. Die vier beneidenswert gut aussehenden Jungs
aus England haben auf ihrer Website die Talking Heads als Vorbilder angegeben
und das kann man ohne allzu viel Abstriche auch so gelten lassen. Sehr
abwechslungsreicher Pop mit einer fetten Portion Funk gemischt, angereichert
mit Wechselgesang und einem in diesem Zusammenhang eher ungewöhnlichen
Instrument -einer Klarinette. Sehr unterhaltsam und schön anzusehen.
Das Highlight des Tages liefern jedoch die japanische Taiko-Truppe Gocoo.
Die Bühne ist mit Trommeln zugestellt, beim Konzert stehen zwölf
Musiker auf der Bühne, vier Männer und sieben Frauen von Gocoo
und der Didgeridoo-Virtuose GoRo. Sie spielen eine hocheinergetische Show
und tanzen ekstatisch zum Klang der Trommeln. Alles ist in Bewegung, alles
ist Klang - wer da ruhig stehen bleibt, ist sicher schon fast tot, zumindest
aber taub. Ganz, ganz große Klasse!
Nach diesem Ereignis hatten es Guru
Guru etwas schwer noch zu punkten aber die erfahrene Truppe um
Schlagzeuger und Bandspaßvogel Mani Neumeier zeigte, dass sie es
immer noch draufhaben. Ich kannte nur ein paar Stücke der Krautrocker,
so den berühmt-berüchtigten Elektrolurch, der selbstverständlich
auch gespielt wurde. Die mehrheitlich recht "alten" Freaks vor
der Bühne sind da wesentlich informierten und feiern ihre Helden
vom ersten Ton an. Manche der Kollegen sind schon so krass durch den Wind,
dass es absurd wird. Wie der eine Herr, der ein unsichtbares Orchester
dirigiert
Kein Wunder bei diesen psychedelischen Epen, die nichts
an ihrer Kraft verloren haben.
Gegen Ende des Konzertes beginnt es erneut mit abartiger Intensität
zu regnen. Wir finden erst unter dem Vordach eines Bierwagens Schutz und
fliehen dann in die Bar jeder Sinne. Dort bekommen wir dann noch einmal
Ginger
zu sehen, weitere Bands entgehen uns.
Nachdem wir eine letzte Nacht
auf dem Zeltplatz verbracht haben, die dank des abscheulichen Gejaules
der Burg Herzberg Allstars und zahlreicher privater Soundsysteme reichlich
unruhig verlief, verlassen wir einigermaßen erledigt das Festival.
Fazit:
Alles in allem eine ziemlich
fette Dosis Psychedelic. Hat sich aber gelohnt mal dabei zu sein. Insgesamt
schien mir das Publikum eher aus der Region zu kommen, viele der Besucher
sind sicher schon seit Jahren dabei. Ob wir noch mal nach Herzberg fahren,
steht jedoch in den Sternen. Wir sind halt keine Hippies
Die Bandlinks:
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