Burgnächte Rosslau
(Freitag 23. bis Sonntag 25. September 2005, Wasserburg Rosslau)

Frisch aus dem Urlaub gekommen, schnipsten wir Freitagabend über die Autobahn nach Rosslau. Alles kein Problem, die anhaltinische Stadt ist leicht zu erreichen und auch die Location - insofern man diesen Ausdruck für die jahrhundertealte Wasserburg verwenden darf - war problemlos zu finden. Während man sich auf dem Weg nach Rabenstein durch dunkle brandenburgische Wälder schlagen musste… na lassen wir den Quatsch, so schlimm war's auch nicht. Jedoch haben wir so den Bogen geschafft zur "Vorläufer-Veranstaltung", den Herbstnächten in Raben. Dass hier Vergleiche angezeigt sind, erklärt sich schon aus dem Termin - letztes Septemberwochenende - und den auftretenden Künstlern, die ein ähnliches Klientel ansprechen. Bevor wir nun also zu den einzelnen Auftritten kommen, erst ein paar Worte zu dem ganzen Umfeld und Ablauf. Die Rosslauer Wasserburg liegt direkt in der Stadt bzw. an ihrem Rande. Das bringt es natürlich mit sich, dass man die Open Air-gespielte Musik bis 2 Uhr morgens durch die Häuserschluchten hallen hören konnte. Direkt vor Ort sah ich keine aufgebrachten Bürger - das Ganze hielt sich ja noch einigermaßen im Rahmen - es kann aber durchaus sein, dass das für die Veranstalter noch ein Nachspiel hat. Wir wissen ja alle zur Genüge, dass ein einzelner Querulant genügt, um eine gute Sache zu kippen. Was die Auftritte vor der Burg betraf, so gab es nichts zu meckern - ton- und lichttechnisch wickelten die Veranstalter alles absolut professionell ab. "Negativ" waren die recht langen Umbaupausen im Vergleich zu der (bis auf die Headliner) hart durchgezogenen halbstündigen Auftrittszeit. Hier liegt Rabenstein mit zwei Bühnen, die wechselseitig bespielt wurden nach Punkten definitiv vorn. Leerlaufpausen wurden so fast vollständig vermieden. Nun war das Zeitlimit bei manchen Bands nicht so schlimm, bei Projekten wie den Legendary Pink Dots, die schon weit mehr als 25 veröffentlichte Alben vorweisen können, ist das schon ziemlich ärgerlich.

Kommen wir aber zum Wesentlichen, zur Musik. Nachdem wir in der Pension (Weicheier!) eingecheckt hatten, beeilten wir uns so schnell als möglich auf das Festivalgelände zu gelangen. Der erste positive Eindruck ergab sich durch die Security, standen doch diesmal nicht nur haarlose Testosteron-Monster am Einlass, sondern auch ganz normale Menschen. Erstere werden zwar gebraucht, sollten aber nicht das Bild bestimmen. Insgesamt lässt sich sagen, dass das Personal durchweg angenehm war. Aber ich weiche schon wieder ab. Bei unserem Eintreffen betraten gerade WISSMUT die Bühne und wir lauschten kurzzeitig den dunkelpoppigen Klängen der Ex-Art-isten, um uns dann in das festivalübliche "meet & greet" zu stürzen. So richtig faszinierend finde ich die Leipziger Combo nicht mehr, so wie mich auch schon die letzten Die Art-Alben nicht mehr vom Hocker rissen. Die raue Energie von "Dry", "Fear" und "Gold" ist ein für alle mal futsch. Schade dass.
Nach den Leipziger betraten die meiner bescheidenen Meinung nach Besten die Band, die einzigartigen, legendären, unübertroffenen LEGENDARY PINK DOTS. Ein wenig wunderlich fand ich es schon, wie diese Band es in das schwarze Festival geschafft hatten, aber letztendlich ist es ja Wurst, warum man die Gelegenheit hat, die durchgeknallten Holländer zu erleben - und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes. Frontmann Edward Ka-Spel ist aus der Nähe betrachtet ein schlimmes Drogenwrack, auf der Bühne mutiert er zum alles verzaubernden Derwisch. Kongenial von seinen Bandkollegen begleitet, weben die PINK DOTS ein engmaschiges psychedelisches Soundnetz, das eigentlich jeden gefangen nehmen sollte. (Tat es aber nicht - einige Freunde fanden den Auftritt fürchterlich. Banausen!) Die einzelnen Stücke - ich kannte kein einziges davon - waren durchweg tanzbar, und so nahm es nicht Wunder, das in die Meute vor der Bühne Bewegung kam. Seltsamerweise fehlte der für LPD-Konzerte so typische Duft, doch das schien kein Hinderungsgrund zu sein, in den kosmischen Melodien zu schwelgen. Zum Abschluss zeigten sich die Holländer noch einmal ganz abgespact und verträumt, ja und dann war schon Schluss. Keine Zugaben, nichts. Mist. Hätte ich da schon gewusst, was noch folgen würde, hätte ich mich wohl richtig geärgert.
Es folgten GARDEN OF DELIGHT, einstmals eine von mir sehr verehrte Band, deren Silberlinge bis zum Zeitpunkt ihrer (ersten) Auflösung ich alle mein eigen nenne. Auch konnte ich die gothischen Heroen schon zweimal live erleben, einmal bei ihrem phantastischen Herbstnächte-Auftritt vor drei Jahren. Was allerdings an diesem Abend geboten wurde, war nur ein schwacher Abglanz alter Größe. Der Drumcomputer hauchte völlig drucklos seine Rhythmen von der Bühne und die drei Akteure ergingen sich in nichtssagenden Gesten. Von der ehemaligen Präsenz und Ausstrahlung der Band war nichts mehr zu spüren. Noch ein Grund weniger, die Entwicklungen der Szene zu verfolgen. Die Basis wirklich guter Bands wird immer dünner…

Nach reichlicher Umbaupause betraten CINEMA STRANGE die Bühne, gewohnt skurril bekleidet und ich freute mich schon auf ihr immer ein wenig an Cabaret erinnerndes, versponnenes Konzert. Aber denkste. Dass, was ich für eine Einleitung hielt, zog sich endlos quälend über den ganzen Auftritt hinweg hin. Ein wenig Gewaber, dazu die (ausschließlich) weinerliche Stimme des vietnamesischen Reisbauern, dessen Wasserbüffel krepiert ist. Das war eindeutig zu wenig. Nach zwanzig Minuten verließ ich den Ort des Grauens und stürzte mich in die Discothek. Normalerweise bin ich der Letzte, der Konservenmusik einer Liveband vorzieht, aber CINEMA STRANGE waren an diesem Abend einfach unterirdisch und ich war nicht der Einzige, der das so sah. So verbrachte ich den Rest des angebrochenen Vormittages im Scheunen-Tanztempel bei den "beliebtesten Hits der Schwarzen Szene" und einigen gut gekühlten Kopfschmerz-Hasserödern.
Wahrscheinlich hätte ich den Tag in weniger guter Erinnerung behalten, wären WISSMUT weit nach Mitternacht nicht noch einmal in abgespeckter Version und a capella aufgetreten. In dieser sehr intimen Session wirkte die Musik der Leipziger auf mich wesentlich ansprechender als von der großen Bühne. Das zum Ende sogar noch das heiß geliebte "Eternal Fall" erklang, erfüllte mein schwarzes Herz mit wilder Freude.
Weniger Freude, um nicht Verdruss zu sagen, bereitete allen Anwesenden das Möchtegern-black-metallische Kreischen eines gewissen NOCTULUS, der als helmbewehrter Ritter der Apocalypse vom bevorstehenden Ende des guten Geschmacks kündete. Seine Moritaten von der "rasierten Königin" oder der "russischen Großmutter" gehörten zum Schauerlichsten, das jemals an mein Ohr drang. Irgendwann wird jemand dem Meister mal seinen Helm ins weit aufgerissene Maul stopfen. Zumindest aber sollte man ihm seinen Hund wegnehmen, denn das ist eindeutig Tierquälerei.

 

Den Samstag begannen wir mit der Begutachtung der Leipziger LAMENT, die wir hier schon selbst im Schloss Nickern auf die Bühne bringen konnten. Persönlich finde ich, dass sie die bessere Cure-Band sind als COLD, auch wenn die Jungs das sicher anders sehen werden. Auf jeden Fall sind sie ein wenig sehr nahe an den alten Helden, auch wenn sie sich klamottenmäßig eher von der Schwarzen Szene absetzen. Bei aller die Originalität betreffenden Kritik muss man LAMENT jedoch gestehen, dass sie ihr Handwerk verstehen und ordentliche, unterhaltsame Wave-Musik machen. Das ist mehr, als manch aktuelle Szenegrößen aufweisen können.
In der Pause zur nächsten Band gingen wir in die Scheune, um den Christian von Aster-Film "Kein Blut" zu sehen. Leider lief in endloser Folge nur das einmal durchaus sehenswerte Goethes Erben-Video. Da hatte leider jemand geschlafen.
Weiter ging es in unserem Programm mit SILENCE, einem sehr netten Projekt, das hier auch irgendwie fehl am Platze war. Zum (synthetischen) Klavier sang ein stimmgewaltiger junger Mann seine gefühlvollen Balladen. Das Ganze erinnerte zwar mehr an einen Twen-Schmuseabend mit Kerzenschein und Freundin, machte sich aber auch im Tageslicht und auf der großen Bühne ganz gut, wobei ich vermute, dass das adäquate Zielpublikum nicht wirklich anwesend war.
Nach dem Konzert machten wir einen Abstecher in die "Folterkammer", einen kleinen, vom Burghof aus zu erreichenden Keller, in dem die Lesungen stattfanden (und der abends in den zweiten "Dancefloor" mutierte). Hier durften wir den Geschichten von Markus Förster lauschen, die zwar zum Teil ganz nett waren - politisch unkorrekt, wie der Titel der Lesung suggerierte - waren sie auf keinen Fall. Auch störte die schlechte Vorbereitung des Autors, der sich oft verhaspelte und seine Texte nicht fand, das Zuhör-Vergnügen. Zudem war die betont lustige und bedeutungsschwangere Betonung dem Vortrag nicht wirklich dienlich. Insgesamt eher mangelhaft.
Nach diesem Ausflug in geistige Gefilde und einen kurzen Abstecher ins nahe gelegene Biosphärenreservat lauschten wir den symphonisch-metallischen Klängen der ebenfalls aus L.E. stammenden DARK SUNS. Handwerklich gab es daran überhaupt nichts auszusetzen, besonders der Drummer, der gelegentlich auch das Gesangesmikrophon übernahm, konnte sich hören lassen. In Summe konnte ich das Ganze dann doch nicht so recht goutieren, denn irgendwie berührte mich die Musik nicht. Ein Bekannter mag die Dunkelsonnen sehr, vielleicht findet er mal die Zeit, mir das Ohr für diese Band zu öffnen.
Der Platz vor der Bühne füllte sich merklich als THANATEROS selbige betraten. Ein wenig überrascht war ich dann ob der Klänge, die mein Ohr erreichten, hatten ich die Band doch noch mit einer Art "Neue deutsche Härte"-Sound in Erinnerung. Vielleicht war ich damals in Raben aber einfach nur besoffen, wer weiß. Was THANATEROS diesmal boten zeigte deutlichen Mittelalter-Einfluss, was auch durch das über die Schulter geworfene Schafsfell des Sängers optisch eindrucksvoll gestützt wurde. Insgesamt OK das Ganze, für mich jedoch keine Offenbarung. Dafür gefiel es dem eher jugendlichen Zielpublikum - warum auch nicht.
Nach einem neuerlichen Ausflug kam ich gerade noch zurecht, um die letzten Klänge von NFD zu hören, was ein wenig ärgerlich war, da ich mit der Band ein sehr schönes Erlebnis beim letztjährigen Zillo-Festival verbinde: Wir kommen nach scheinbar endloser Fahrt endlich an, betreten gerade die phantastische Loreleybühne, die Sonne geht soeben unter und NFD spielen ihren geilen Nephilim-Sound (Ich denke, ich muss nicht verraten, dass der Kumpel, mit dem ich da war und ich beide Fields-Fans sind). Cinemascope live. Naja, diesmal also leider nicht, dafür dann beim nächsten Mal. Immerhin war dieses letzte Lied "Moonchild"…
Ein erneuter Abstecher in den Lese-Folter-Keller brachte uns die Geschichten von Thomas Sabottka nahe, dem ich neidvoll ein großes Talent zugestehen muss. Nicht nur, dass seine Texte obwohl düster klischeefrei und intelligent sind, er kann sie auch noch fesselnd vortragen.
Auf der Burgbühne ließen es dann CHAMBER krachen, obwohl dieser Ausdruck bei der klassischen Besetzung (Wie viel Leute standen da eigentlich auf der Bühne?) und dem entsprechenden Klang eher falsch ist. Passend ist der Terminus allerdings in Bezug auf die Energie mit der die Band ihren Auftritt absolvierte. Der gut tätowierte Frontmann versteht sich glänzend darauf, das Publikum einzubinden, eine Fähigkeit, die vielen Vortragenden leider abgeht. Musikalisch lässt sich CHAMBER als klassisch angehauchter Rock und Folk beschreiben, eine durchaus eingängige Mischung, wenn auch nicht mein Fall.
Als vorletzte Band des Abends betraten ORDO ROSARIO EQUILIBRIO die Bretter, die die Welt bedeuten. Das schwedische Projekt aus dem Cold Meat Industries-Universum verzauberte mit einer angenehm entspannten Melange aus symphonischen und folkloristischen Sounds mit Live-Trommeln und quasi propagandistischen Ansprachen. Sicherlich ist das nicht jedermanns Geschmack, mir hat das Ganze gefallen. Klug die Entscheidung, sich auf Gesang und Drumming zu konzentrieren und nicht an irgendwelchen Knöpfen rumzuschrauben, was live kein wirklicher Gewinn ist.
Erneut ging es in den Keller zur Lesung, diesmal der von Christian von Aster. Zu diesem intelligent-witzigen Zeitgenossen, noch viele Worte zu verlieren, ist wirklich überflüssig. Wer noch nicht das Glück hatte, einer seiner Vorträge beizuwohnen, der sollte sich schnellstens von diesem Makel befreien. Ganz im Ernst: Aster fällt immer wieder was Neues ein, womit er seine Zuhörer zu verzaubern weiß: skurril Albernes, Tiefgründiges und Mysteriöses. Keine Ahnung, woher der Mann seine Ideen nimmt, aber ich habe mich wieder mal nicht getraut, ihn zu fragen.
Headliner des zweiten Abends waren zu Recht DIARY OF DREAMS, denn die Band gehört zu den qualitativ besten und eigenständigsten Szenegrößen des Landes. Die Vierertruppe brachte ihren Sound druckvoll unters Publikum, dass die Texte teilweise enthusiastisch mitsang. DIARY OF DREAMS haben ihre eigenen Stil gefunden, der unverwechselbar ist und ganz gekonnt die Waage zwischen Tanzbarkeit und Anspruch hält. Alle Songs durchzieht eine angenehme Melancholie, die szeneuntypisch nicht in Weinerlichkeit oder Pathos kippt, sondern immer eine innere Stärkere bewahrt. Was immer auch andere sagen, ich mag die Band und finde sie einfach spitze. Das Konzert stand ich dann doch nicht ganz durch - es wurde recht kalt und die Ausdauer hatte ich dann auch nicht mehr. Stattdessen hatte ich das Glück, zwei Freunden zu begegnen, die gerade ein Interview mit Thomas von Ordo Rosario Equilibrio führten, dem ich andächtig lauschte. Auf diese Weise war der Bann gebrochen und ich konnte mich auch mit dem Künstler (der übrigens in der gleichen Pension nächtigte) unterhalten. Vielleicht wird ja mal in naher Zukunft ein Interview daraus.
Den Rest des Abends verbrachte ich dann wieder im Disco-Keller, wo Markus Müller vom San Diego-Team auflegte - eine sehr angenehme Mischung aus dem Indie-Sektor auflegte. Sogar einige Bandmitglieder reihten sich in die Tanzparty ein. Gegen drei Uhr machte ich mich dann endlich auf den Heimweg.

 

Für den Sonntag waren nur noch Lesungen angesetzt und wir schafften es gerade so noch zu Christian von Aster. Der Ausklang war wenig spannend. Vielleicht sollten sich die Veranstalter für den letzten Tag noch etwas einfallen lassen, damit die Abreisedepressionen nicht so heftig ausfallen. Wie wär's mit einem Nachwuchswettbewerb? Wie auxh immer - insgesamt waren die Burgnächte sehr angenehm. Mal schauen, wer nächstes Jahr so auftritt und ob die Party noch in Rosslau stattfindet. Sehen wir mal…

                 

 

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Die Art im Hof

 

Im Rausch...



mit den

Legendary Pink Dots


Kein Lichtblick:

Garden Of Delight


Rice, Rice, Baby

Cinema Strange

 

Kunst oder Tierquälerei:

Noctulus

 

Lament

animiert zum Tanz

Lautstark: Silence

 

Hübsche Jungs: Dark Suns

 

Thanateros für alle Felle

"Moonchild" NFD

Thomas Sabottka

Kammermusik: Chamber

Kammermusik: Chamber

Diary Of Dreams

Christian von Aster