Elektroanschlag 10
3. und 4. April 2009, Music Hall bzw. Alte Brauerei, Altenburg

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Eine Woche vor Beginn kam die schreckliche Nachricht: Das Kanonenhaus in Altenburg, traditioneller Veranstaltungsort des Elektroanschlag-Festivals war abgebrannt. Schnell musste Ersatz gefunden werden, die Gemeinde bangte bis zwei Tage vorher, ob Alles klargehen würde. Ging es dann aber zum Glück und die zehnte Ausgabe des vorrangig auf rhythmische elektronische Musik konzentrierten Events konnte über die Bühne gehen.

Ich traf am späten Nachmittag in der Skatstadt ein, stattete dem Kanonenhaus noch einen kurzen Besuch ab und stellte dann nach einigem Suchen mein Fahrzeug direkt am Markt, vor der Brüderkirche ab. Von da ließ ich mich von den bereits angereisten Kumpanen in den Garten locken. Dort, direkt neben der Kirchenmauer durften wir unsere Zelte aufbauen; die Location lag direkt dahinter. Unter solch idealen Bedingungen begannen wir hingebungsvoll, die vorhandenen Alkoholika zu vernichten, so dass ich schon nach kurzer Zeit einen respektablen Affen mit mir herumtrug. Solcherart gestärkt trat ich aus dem Kirchengarten, nur um zu sehen, dass mein Auto das einzige war, das noch auf der Straße stand, die staatlichen Organe direkt daneben, während ein Zug gläubigen Jungvolkes das Gotteshaus besuchte. Ich nahm meinen Mut zusammen, ging zu den Ordnungshütern und fragte, ob sie mein Gefährt störe. Tat es zum Glück nicht, ich hätte es auch nicht mehr wegfahren können, nur verkehrt herum stand es. Darauf hingewiesen, konnte ich nur mit den Schultern zucken und mich entschuldigen. Damit war der Fall abgeschlossen. Im Gegensatz zu einigen meiner Freunde blieb ich sogar von einem Parkticket verschont…

Solcherart ermutigt betrat ich die sehr schöne Lokalität - ein wohlproportionierter Saal mit ordentlicher Bühne und Klasse Anlage. Ein wenig neidig war ich schon. Den Anfang machten an diesem Tag SONIC AREA, die das Festival mit einem sehr angenehmen und abwechslungsreichen Sound zwischen Techno und Ambient eröffneten.
Es folgten die Dresdner HEIMSTATT YIPOTASH, die die hiesige Fraktion ordentlich unterstützte. Mit den beiden auf der Bühne stand ein weiterer Herr, der unter dem Namen TAKHTAHK Musik macht. Zusammen stellten die drei ihre soeben auf CD erschienene Kooperation live vor: RhythmusIndustrial bzw. Electro mit absoluter Tanzpflicht. Da kam echt debile Stimmung auf.
Persönlich freute ich mich natürlich vor allem auf den nächsten Dresdner Vertreter HUMAN LARVAE. Wie schon im AZ Conni sudelte der langhaarige Herr mit an Ketten aufgehängten echten Schweineherzen rum. Der Veranstalter wird's nicht so gern gesehen haben, für mich passt diese Show aber zur Sound zwischen Power Electronics, Noise und Ambient. Ein bisschen Schmerz muss da schon sein.
Dann war bei mir musikalisch erst Mal die Luft raus. Zu TONIKOM ist mir nur das Bild einer in weißen Latex an ihren Maschinen spielenden Dame im Kopf geblieben, von XSOZ eigentlich garnichts.
Interessant wurde es erst wieder mit XABEC. Einige meiner Freunde finden seine Musik etwas esoterisch, mir gefallen die hypnotisch-ambienten Landschaften eigentlich ganz gut. Natürlich ist das Ganze völlig ohne Aggression und sehr entspannt, vielleicht ist der mittlerweile in Leipzig lebende Musiker damit beim Elektroanschlag fehl am Platze. Auf der anderen Seite ist ein Break im ständigen Rhythmusallerlei auch nicht so schlimm, oder?
IN SLAUGHTER NATIVES lieferten dann die mittlerweile übliche Show ab, Laptop plus Gesang. Es ist immer wieder schön, dem bösen Schweden Jouni Havukainen zuzuschauen. Meine Erinnerung an das Set litt diesmal deutlich durch unsere private Feier - ich soll aber auf jeden Fall ordentlich Spaß gehabt haben.
Da der Abend schon lang und ich nicht mehr ganz fit war, verpasste ich den Auftritt von AB OVO dann schlafend im Zelte.
Nach dem Erwachen auf dem Friedhofe mussten wir in einen anderen Teil der Stadt umziehen. Da unsere Kolonnenfahrt gründlich misslang, suchte ich mir noch ein Weilchen einen Wolf, bevor ich es dann doch noch zur Alten Brauerei schaffte. Dort stationiert, nutzte ich die Gelegenheit, mir gemeinsam mit einem Kumpel die Stadt anzuschauen und etwas Vernünftiges Essen zu gehen. Meine Empfehlung an dieser Stelle: das Stadt Gera.

Das Festival fand diesmal gaaanz tief im Gewölbe der Alten Brauerei statt, ein sehr schöner, großer Raum mit Säulen und Bögen, in dem sich neben der Bühne noch die Bar und die Stände befanden. Die Gemütlichkeit des Kanonenhauses fehlte hier ein wenig, denn es gab keinen Platz, sich einfach mal hinzusetzen bzw. nur sehr wenig. Von der Aufteilung her hätte ich die Bühne auch anders platziert aber es gab sicher Gründe für die Entscheidung, die Künstler an einer Längsseite des Raumes zu positionieren.

Los ging es mit SANDBLASTING, einem Herren, der seinem Namen alle Ehre machte und ordentlich das Gehör durchpustete. Leider ging es ihm so wie den meisten Acts an diesem Abend: Nach zehn Minuten hatte ich genug gehört und verließ den Raum über zwei Steile Treppen gen Ausgang. Dort gab es einen Grill und die Möglichkeit in Ruhe zu schwatzen. Auch nicht zu verachten…
Bei MORBUS M. handelt es sich um zwei Leipziger Keller(Records)Kinder, die einen sehr angenehmen techno-ambienten Sound ablieferten. Ob ich das Gehörte allerdings nach zwei, drei Tagen wieder erkennen würde, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ähnliches lässt sich über TEN DATA KENSHIN sagen, einen jungen Mann, der hinter seiner Maschine rockte und die Leute gut mitriss. Das ballerte schon ordentlich aus der Break Core-Kanone!
Es folgten MANDELBROT mit einem sehr angenehmen Ambient-Set, zu dem ich mich gern in einen weiten, tiefen Sessel gefläzt hätte, ein kühles Bierchen in der Hand und aufmerksam gelauscht und das beeindruckende Video geschaut. So zeigte sich wieder einmal, dass es solch ruhige Projekte im Elektronanschlag-Umfeld schwer haben.
Ein Höhepunkt oder Tiefpunkt je nachdem, ob man das persönliche Erscheinungsbild oder die künstlerische Livedarbietung betrachtet, stellte für mich der Auftritt von WARBABY dar. Ein Freund meinte, dass die hübsche junge Frau auf der Bühne da nicht ihre eigene Musik präsentierte. Durchaus möglich. Mir schien die Dame mit den orangenen Haaren selbst überrascht, was da aus den Boxen dröhnte. Ihre gestalterische Leistung erschöpfte sich in einem leichten Grinsen und mausschubsende Handbewegungen auf dem Tisch. Später wippte sie zu ihrer durchaus abwechslungsreichen Musik mit, so als wenn ihr langsam aufginge, wie gut die Sounds sind. Sehr seltsam das Ganze.
Ich genoss lieber die Möglichkeit einigen Mitgliedern der Pogocrew bei ihren Albereien zuzuschauen. Ist doch immer wieder schön zu sehen, dass erwachsene Menschen auch noch ein Stück weit verrückt sein können ohne gleich auszurasten.
ATROX waren dann wieder einmal der echte "Bringer". Wer bis dahin noch nicht getanzt hatte, der fing jetzt zu zucken an. Beats, Nebel, Noise, Laser, Stroboskopund allerlei gute Samples - dazu die geballte Feierkraft von Stoefi und seinem Mitstreiter Jörg, dem Mann hinter Antracot. Partymusicke mit Tiefgang, die selbst solche Rhythmushasser wie mich mitreißt.
LARVAE konnten hier aber problemlos anknüpfen. Der bärtige Italiener ging das Thema intelligenter Tanzmusik etwas anders an, technoider mit Hang zum Break Core und ambienter. Sein buntes Shirt und sein restliches Äußeres verwiesen deutlich in Richtung Goa und PsyTrance - Einflüsse, die ich auf jeden Fall sehr gern höre. Die Videos, die zur Set liefen, waren gut, auch wenn ich in der Bilderflut solch eines Festivals kaum etwas festhalten konnte. Umso mehr freute ich mich über ein Schild, welches am Mearchandising-Stand des Musikers hing: "Yes, there is a LARVAE DVD and we have it here for 10€"
Es folgte GEISTFORM, ein Herr, der ohne große Gesichtsregungen die Masse zum Tanzen brachte. Bei dem abwechslungsreichen Rhythmusspektakel ging die Meute ab wie Schmidts Katze. Alle Achtung! Extrem partytaugliches Zeug, wenn auch sehr durchschaubar.
THIS MORN OMNIA ließen dann noch mal so richtig die Rock'n'Roll-Säue raushängen mit einem schwitzenden Sänger, DJ, einem fantastischen Trommler (Nicolas von Empusae) und einen Schlagzeuger, den ich leider von meinem Standort kaum erkennen konnte. Das ging mit einer gehörigen Portion Ritual ordentlich ab. Mich hielt es jedoch nicht mehr - ich war nach diesem Programm reichlich müde und verzog mich, ohne S.K.E.T. gesehen zu haben, ins zeltische Bett. Am nächsten Morgen ging's dann zeitig zurück in die Heimat.

Fazit:
Ein ordentliches Festival nach dieser Katastrophe, schöne Locations, nette Leute, trinkbares Bier zu bezahlbaren Preisen. Kein Stress, nicht mal mit der Polizei, pennen neben der Kirche und eine berauschende Geburtstagsnacht - was will der Rezensent mehr. Vielleicht noch die ein oder andere etwas abweichende Band - mal wieder PowerElectronics oder dergleichen. Aber das liegt in der Hand des Veranstalters, bei dem ich mich im Namen der Dresdner Bande besonders bedanken will. Nachdem ich ordentlich in den Samstag gefeiert hatte, konnte ich mich am Sonntagmorgen kaum noch zu allzu viel Begeisterung aufraffen. Das Alter, das Alter…

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