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12.
Prague Industrial Festival
Freitag 8. und Samstag 9.Dezember 2006, Rock Café, Prag
Ende des Jahres lockt stets
das Prague Industrial Festival zu einem Besuch in der Goldenen Stadt.
Vorbei sind die Zeiten, als das Ganze Spektakel noch in der legendären
Papyrna, einem besetzten Haus in Industrie-Areal des Stadtteils Holesovice
stattfand. Rock Café, Club Matrix, Kino Morava und Aero waren weitere
Stationen dieses mittlerweile traditionsreichen Events. Im Jahr 2006 ist
das Festival ist in der Mitte der Stadt angekommen, diesmal im frisch
renovierten Untergeschoss des Rock Cafés. Alles sehr schön,
doch ein klein wenig ist das underground-Gefühl verloren gegangen.
Noch immer stehen neben international bekannten "Acts" Neulinge
auf dem Programm, die Zeit der großen Experimente scheint aber vorbei
zu sein. Wirklich Weltbewegendes passiert aus meiner Sicht nicht mehr,
was aber auch daran liegen kann, dass die Szene nicht allzu viel Neues
mehr hergibt. Auch in Prag hat die Fraktion der Laptop-Frickler die Oberhand
gewonnen.
Das zeigte sich schon beim
ersten Auftritt, dem Drahomira Song Orchestra, das trotz seines slawisch
klingenden Namens aus Frankreich stammt. Zwei junge Männer hinter
ihren Laptops produzierten eine recht abgefahrene Mischung aus Industrial
und Ambient, dazu lief ein seltsamer Streifen im Hintergrund, eine krude
Mischung verschiedenster Sujets aus Sex, Fernsehshows, geometrischen Figuren
etc. Die Website des Projektes (http://www.institutdrahomira.com/) setzt
diesen Wahnsinn gelungen fort. Insgesamt ein wenig seltsam aber durchaus
sehenswert.
Etwas widerwillig widmete ich mich dann Tabor Radosti, denn bei ihrem
letzten Auftritt hatte mir die Gruppe überhaupt nicht gefallen. Von
der Optik hatte sich wenig geändert: zwei Hohepriester, die steif
hinter ihren Keyboards standen. Dazu lief ein Video mit mystischen Bildern.
Diesmal kam die Musik aber besser bei mir an, wirkte nicht mehr nur wie
eine schwache CMI-Kopie. Genau kann ich nicht beschreiben, was sich nun
geändert hat, nur wirkt der Sound jetzt wesentlich eigenständiger.
Als nächstes folgte das Highlight des gesamten Festivals, die unvergleichlichen
Einleitungszeit. Bei den Slowaken geht es richtig industriell zur Sache.
Da wird das Eisen geschleift, mit Feuer, Elektrizität und Ersatzflüssigkeiten
gespielt, so dass neben dem Ohr auch das Auge zufrieden gestellt wird.
Sehr Oldschool-mäßig und mit einer gehörigen Portion emotionaler
Durchschlagskraft.
Zu Dive viel zu schreiben lohnt wirklich nicht: Die Musik kennt jeder
und wer einmal die Show des Belgiers gesehen hat, der muss das nicht wirklich
ein zweites Mal tun. Alles Musikalische kommt vom Band, dazu tigert Ivens
über die Bühne und singt, von einem Stroboskop von unten angestrahlt.
Das Publikum hüpft begeistert zum stampfenden Rhythmus. Der 80iger
Charme - irgendwie erinnert mich das Ganze optisch ein wenig an Joy Division
- und die sympathische Person hinter dem Projekt verbieten weitergehende
Kritik. Abgehakt.
Als nächste folgten Murderous Vision, die zu zweit die Bühne
enterten. Die Amerikaner produzierten einen seltsam diffusen Sound,der
ebenfalls ein wenig an Cold Meat erinnert. Am stärksten wirkte ihr
Auftritt, der von einem sehr morbiden Video begleitet wurde, wenn Daniel
Potter seine Ansagen machte und wenn Stephen Petrus gefährlich ins
Publikum blickte.
Als letzte Band des Abends spielte - ein netter Gag - das Opening Performance
Orchestra, von deren Aktivität bei mir leider nicht allzu viel hängen
blieb außer dass es sich auch hierbei um zwei Männer mit ihren
Laptops handelte...
Die für den Abschluss geplante Disko verlief sich dann irgendwie
recht schnell im Sande.
Der nächste Tag startete
mit dem tschechischen Projekt Birds Built Nests Underground und wieder
standen zwei Herren vor der Videoleinwand an ihren Rechengeräten.
Auch hier ist mir leider Genaueres entfallen, das kommt halt davon, wenn
sich alles gleicht, in Tateinheit mit Alkoholmissbrauch. Leider gab es
auch kein Angebot im Internet, mit dessen Hilfe ich das Gehörte rekapitulieren
konnte. Sorry
Etwas besser erinnern kann ich mich dagegen an C.H. District aus Polen.
Sowohl optisch als auch soundtechnisch zeigten sich die Jungs mehr dem
Techno zugehörig. Nicht unbedingt mein Ding, weil viel zu grade und
soundtechnisch schon oft gehört aber die Beiden hatten sichtbar Spaß
an ihrer "Arbeit".
Seismic Wave oder besser VO.I.D. Factory ließen es dann wieder richtig
krachen. Das Projekt durfte Ende 2005 in Japan spielen und wurde von den
dortigen Fans frenetisch gefeiert. Genauer muss man den Sound wohl nicht
beschreiben. Viel Rhythmus und noch mehr Noise
Der Auftritt von Inade läßt sich dagegen nur als Kontrastprogramm
bezeichnen. Mit ihren typischen, mystisch-ambienten Soundlandschaften
nahmen die Leipziger das Publikum sofort gefangen. Was das Einzigartige
an diesem Projekt ist, lässt sich nur schwer sagen. Irgendwie gelingt
es Inade immer, den Zuhörer auf einer tieferen Ebene zu berühren.
Richtig viel Interesse für die weiteren Bands war nach diesem Highlight
bei mir nicht mehr vorhanden. Immerhin brachen die nachfolgenden Do Shaska!
Ein wenig aus dem üblichen Format (zwei Männer und ihre Laptops)
aus. In großer Besetzung - besonders lustig war der Sänger
mit seiner skurrilen Maske anzusehen - kamen neben der Elektronik auch
"ganz normale" Instrumente zum Einsatz. Der Sound der Tschechen
war ebenfalls sehr mystisch und eher Oldschool-industriell, das Ganze
vermischt mit modernen Beats.
Zum Schluss spielten noch zwei Einmann-Projekte auf. Michal Korán
aka Psychadelic Halucinogen. Der Tscheche kann schon auf einige Veröffentlichungen
verweisen, ist hierzulande aber noch wenig bekannt. Den Sound würde
ich mal in erster Linie als ambient und passend zum Namen bezeichnen.
Wie es scheint, hat Koran unter Psychadelic Haluzinogen noch nichts veröffentlicht.
Leider ist zu so später Stunde und bedingt durch den Overflow der
beiden Festival-Tage nichts weiter hängen geblieben.
Ganz anders bei Schloss Tegal, die ich ja nun schon mehrfach live erleben
durfte. Es ist immer wieder eine Messe, Richard Schneider zu sehen, wie
er vollkommen in seiner Musik aufgeht und abrockt, während die Musik
düster und schleppend ist. Da fährt jemand seinen ganz persönlichen
Film, der etwas klarer wird, wenn man das dazugehörige, erstklassige
Video verfolgt.
Dass nach diesem vollen Programm auch am zweiten Tag eher kaum Tanzlaune
aufkam, ist nur zu verständlich. Insgesamt lässt sich sagen,
dass der Besuch beim Prague Industrial Festival ein wenig von seinem abenteuerlichen
Charakter verloren hat, das Ereignis an sich jedoch immer noch die Reise
in die tschechische Hauptstadt rechtfertigt.
Als kleiner Zusatz sei noch vermerkt, dass im Vorraum Collagen von Nigel
Ayers gezeigt wurde. Der Mastermind von Nocturnal Emission hatte Werbung
aus den 1950er Jahren zu doppeldeutigen Bildern verarbeitet. Kinder beim
Rauchen, Trinken oder Tabletten schlucken. Der "War on Drugs"
mal ganz anders.
Bilder
disorder
Bilder
gAndy
Website
des Festivals
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