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Kristina Boriesson (Herausg.)
- Zensor USA (Pendo Verlag Zürich, 2004)
Der vor kurzem verstorbene
Ex-Präsident der USA, Ronald Reagan, nannte die UdSSR einmal das "Reich
des Bösen". Nach militärischen Konflikten im Irak, in Jugoslawien, Afghanistan
und all den nicht erklärten Kriegen weltweit schickt sich die letzte verbliebene
Weltmacht an, zum Hassobjekt Nummer eins zu werden, wenn sie es nicht
schon ist. Ein Buch wie "Zensor USA", das die Praktiken der Unterdrückung
unliebsamer Wahrheiten in US-Presse und Fernsehen beschreibt, kann da
nur Wasser auf die Mühlen all derer sein, die den "Teufel Amerika" beschwören.
Vergessen werden sollte dabei aber nicht, dass die Vereinigten Staaten
noch immer eine Demokratie sind und das sind sie vor allem wegen Menschen,
wie den Autoren dieses Buches, Enthüllungsjournalisten, die erbittert
um die Wahrheit kämpfen, auch bis zum persönlichen beruflichen und finanziellen
Ruin. Das System ist mächtig und wer sich mit ihm anlegt, braucht viel
Kraft.
Diese Erfahrung muss z.B. Jane Akre machen, die einen Hormonskandal bei
Milchkühen aufdeckt. Um die Milchleistung der Vierbeiner zu erhöhen, erhalten
diese das vom Großkonzern Monsanto hergestellte Hormon rBGH verabreicht.
Was die Bauern nicht wissen: Das Präparat wurde praktisch nicht getestet.
Der Konzern führte nur eine einzige, neunzig Tage dauernde Versuchsreihe
an lächerlichen 30 Laborratten durch, bevor der Stoff flächendeckend in
den ganzen USA zum Einsatz kommt. Akre erfährt zudem, dass nach Gabe der
angeblich harmlosen Substanz an einem Teil der Ratten Zysten und Veränderungen
an Schilddrüse und Prostata festgestellt wurden. Der Test neuer Arzneimittel
dauert bisweilen Jahre, Nebenwirkungen dieses Ausmaßes führen im Allgemeinen
zur Nichtzulassung der Produkte.
Ein Skandal sollte man meinen, der unbedingt an die große Glocke gehängt
gehört. Doch das Gegenteil ist der Fall. Der Fernsehsender für den Jane
Akre arbeitet, will den potenten Werbekunden nicht verlieren und entstellt
den Bericht soweit, dass keine Gefahr mehr von rBGH ausgeht. Als die Journalistin
diesen Beitrag so nicht senden lassen will, beginnt ein zäher Kampf gegen
den Sender, der letztendlich zu ihrer Entlassung führt. In der anschließenden
Gerichtsverhandlung erhält sie zwar eine Entschädigung zugesprochen, gesehen
hat Akre das Geld bis heute jedoch nicht. Doch das ist noch längst nicht
das Ende der Geschichte: Der Ex-Sender deutet den juristischen Sieg der
aufrechten Journalistin in eine Niederlage um. Die anderen Mainstream-Medien
schweigen dazu. In diesem Falle halten auch die ärgsten Konkurrenten zusammen.
Einer der Gründe dafür ist die Angst Werbekunden zu verlieren oder von
den Unternehmen auf horrende Schadensersatzsummen verklagt zu werden.
Akre zitiert ein Beispiel, bei dem verdeckt arbeitende Journalisten des
Fernsehsenders ABC Unregelmäßigkeiten bei der Lebensmittelkette Food Lion
aufdecken. Das Unternehmen verklagt daraufhin ABC und bekommt Recht, ohne
beweisen zu müssen, dass der Bericht falsch oder tendenziell ist. Da in
den USA ein Präzedenzrecht gilt, können sich praktisch alle "Opfer" verdeckter
Ermittlungen auf dieses Urteil berufen. Auf diese Art und Weise werden
die Möglichkeiten investigativer Journalisten erheblich eingeschränkt.
Wer Gefahr läuft, irgendjemand Mächtigem auf die Füße zu treten, verliert
die Rückendeckung seiner Zeitung oder seines Senders. Und nicht nur die:
Gewerkschaften knicken ein, Anwälte geben ihr Mandat zurück etc. Das Interesse
für unangenehme Wahrheiten wird für die Journalisten zum kaum kalkulierbaren
Risiko. Kein Wunder also, dass ein Großteil der schreibenden und sendenden
Zunft auf diese Anstrengungen verzichtet und die Nachforschungen lieber
auf "sichere" Quellen beschränkt. So riefen Journalisten nach Gerüchten
um Wahlfälschungen in Florida im Büro des amtierenden Gouverneurs (Jeb
Bush, der Bruder des verdächtigten Kandidaten Georg Bush) an und fragten
nach, ob es Unregelmäßigkeiten gegeben hätte. Gab es natürlich nicht und
die Journalisten waren zufrieden damit. (Greg Palast: Ein Amerikaner im
Exil: Nachspiel zu einer gefälschten Wahl)
Nicht allein, dass die Presse alles frisst, was ihr vorgeworfen wird,
sie verfälscht auch aktiv die Wahrheit. Der Autor Gary Webb formuliert
in seinem Beitrag "Information oder Intoxikation? Die CIA, das Crack und
die Contras": "Das Beängstigende an diesem geheimen Einverständnis zwischen
der Presse und den Mächtigen ist, dass es so gut funktioniert. In unserem
Fall konnte sich die Regierung mit ihren Dementis und ihren Versprechungen,
die Wahrheit zu ermitteln, zunächst nicht durchsetzen… Als sich jedoch
die Presse einschaltete, die die Regierung eigentlich überwachen sollte,
reagierte die Öffentlichkeit verwirrt und spaltete sich. Die Bewegung,
die sich für ein Anhörungsverfahren im Kongress einsetzte, verlor an Kraft,
und als schließlich genug Leute die ganze Geschichte für falsch oder übertrieben
hielten, konnte man sie ganz unten in den Stapel der toten Storys schieben,
in der berechtigten Hoffnung, dass sie nie wieder auferstehen würde."
Die Massenmedien nutzen ihre Macht, um unliebsame Themen von der Bildfläche
verschwinden zu lassen. Das Spektrum der angewandten Mittel reicht dabei
von Diffamierungen, der Verbreitung von Halbwahrheiten und Lügen bis hin
zum Totschweigen. Nur vereinzelt scheren Medien aus diesem Kanon aus,
nur um durch Klagen etc. wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt
zu werden. Warum aber ist das so? Die Frage lässt sich relativ einfach
beantworten. Kaum ein großes Medienunternehmen ist heute noch unabhängig,
weder finanziell noch organisatorisch. Dazu Philipp Weiss: "Die rechtsextremen
Spinner, die seit jeher orakeln, eine Weltregierung würde unsere Souveränität
untergraben, haben in einem Punkt also so Unrecht gar nicht: Die globalen
Medienkonzerne müssen ebenso sehr darauf achten, was sich in Singapur
verkauft, wie sie darauf achten müssen, was sich in Seattle verkauft."
Wer denkt, dass enttäuschte Journalisten dann einfach ein Buch schreiben
könnten, der hat die Rechnung ohne die Verlage gemacht. Ausführlich beschreibt
Gerard Colby in seinem Artikel "Die begrabenen Bücher: Zensur in der Verlagsbranche"
wie Bücher ohne direkte Verbote vom Markt verschwinden. Passt das Geschriebene
nicht oder ist die Angst vor einer Klage zu groß, wird das Streitobjekt
in solch geringen Stückzahlen produziert und quasi nicht beworben, dass
es sich wirtschaftlich nicht tragen kann. Ein kaum verfügbares Buch wird
selbstverständlich auch nicht rezensiert, ohne Anzeigen keine Bekanntheit.
Nachauflagen "können" nicht gedruckt werden, selbst, wenn eine große Zahl
an Vorbestellungen existiert. Den Überblick hat nur der Verlag und der
wird sich hüten, sich selbst einen Strick zu drehen.
Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen. Manches ist so unglaublich,
dass es aus Georg Orwells "1984" zu stammen scheint, so z.B. die Verbindungen
der CIA zu den Contras in Südamerika und den Crack-Dealern in Los Angeles
(Gary Webb, eine der spannendsten Geschichten des Buches!) oder dem heuchlerischen
Kampf des Staates gegen Drogen. Sehr seltsam scheint dem hiesigen Leser
die Tatsache, dass in Berichten über die "Befriedung" des Iraks so gut
wie nie ein Hinweis auf das Öl auftaucht, das es dort zu fördern
gibt (Charlotte Dennett - Das große Spiel ums Öl: die bruchstückhafte
Berichterstattung im Kampf gegen den Terror.). Haben wir allerdings das
Recht uns an dieser Stelle über "die dummen Amis" aufzuregen? Wissen wir
z.B., wer Kohls Parteispender waren? Unsere Journalisten haben uns über
des Bundeskanzlers Weigerung berichtet und sich mit dieser Antwort zufrieden
gegeben. Zumindest ist mir nichts Gegenteiliges zu Ohren gekommen. Vielleicht
hat jemand die Namen herausgefunden; veröffentlicht wurden sie jedoch
meines Wissens nach nie.
Natürlich kann man sich
immer abseits der Mainstream-Medien wie im Internet informieren, doch
eine Problem bleibt dabei: "Zumindest ist in unserer reichen Demokratie
die alternative Perspektive leicht zugänglich… Dennoch halte ich den gegenwärtigen
Zustand für alles andere als befriedigend. Wir haben einen zweigeteilten
Diskurs: Zwei extrem konträre Weltsichten, die nebeneinander existieren,
zwei Glaubenssysteme, die nahezu keine Schnittmengen aufweisen und in
Krisenzeiten eine erhebliche Belastung für den Gesellschaftsvertrag darstellen."
(Philipp Weiss) Das ist eine echte Gefahr, denn der Konsument muss sich
immer entscheiden, wem er glaubt. Ein Grund für die Massenproteste gegen
Hartz IV ist auch der Mangel an Vertrauen in die Politik (und damit indirekt
auch in die Medien). Hatte nicht mal jemand behauptet, dass es niemandem
schlechter gehen würde?
"Zensor USA" ist ein
sehr wichtiges Buch, zeigt es doch, wie sehr sich die USA (und wahrscheinlich
auch wir uns) bereits von der Demokratie entfernt haben. Staat und (Medien-)Öffentlichkeit
verkommen immer mehr zum Machtinstrument der ökonomisch herrschenden Klasse
(Kommt Euch das bekannt vor?). Hier den Anfängen zu wehren, ist ein frommer
Wunsch, denn das System arbeitet schon fast perfekt. Gesetze wie der "Freedom
of Information-Act" machen es noch effektiver. Doch wenn man dieses System
bekämpfen will, muss man wissen, wie es funktioniert. Und sich nicht zu
wehren, heißt aufgeben und sich gnadenlos für die Zwecke einiger Weniger
manipulieren lassen.
Stilistisch betrachtet sind
manche Artikel schwer zu lesen, da einige Journalisten der typisch amerikanischen
Eigenart frönen, jedes Details ihrer Nachforschungen bzw. ihres Alltags
zu beschreiben. Wen interessiert es, ob der oder die Betreffende für einen
Werbespot des Nachrichtensenders Pumps trug und damit über das regennasse
Pflaster stöckelte? Das menschelt manchmal bis zum Erbrechen. Abschrecken
lassen sollte man sich davon jedoch nicht. Die Ausdauer lohnt sich auf
jeden Fall. Willkommen in der schönen neuen Welt!
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