Michael Moynihan, Didrik Søderlind: Lords Of Chaos (Prophecy)
Wirre Gedanken zu einem vielbeachteten Buch.

Über dieses Buch ist schon viel geschrieben worden. Praktisch jede Musikzeitschrift, die etwas auf sich hält (auch SPEX!) widmeten den "Herren des Chaos" eine Besprechung, für jede Website, die irgendwie mit Musik zu tun hat, gilt das Gleiche. Was ist so besonders an diesem Buch, dass alle ihre Meinung darüber verkünden wollen, gleichsam müssen. Ein guter Misteryfilm lebt von drei wichtigen Zutaten: Von einer grausamen, spannenden oder unglaublichen aber realen Geschichte, von der Tatsache, dass nur ein begrenzte Anzahl von Menschen weiß, was wirklich passiert ist und von der Angst der Zuhörer, dass ihnen das Gleiche passieren könnte. Wenn die Geschichte dann noch von jemandem erzählt wird, der selbst geheimnisumwittert, schrecklich und furchteinflößend ist, umso besser.

Lords Of Chaos erfüllt alle diese Voraussetzungen. Hauptautor Michael Moynihan ist in der Szene kein Unbekannter. Mit seinem Projekt "Blood Axis" konnte er bereits mit dem Erstlingswerk "The Gospel Of Inhumanity" eine treue Anhängerschaft rekrutieren. Die Verbindung von Versatzstücken klassischer Musik (Zitate von Prokovjew und Bach) mit der eindringlichen Sprechstimme Moynihans begeisterten vor allem Hörer aus dem Neofolk-Sektor. Neben musikalischen Anleihen benutzt Blood Axis textliche Quellen und Samples von wie auch immer umstrittenen Personen:
eine Aufnahme von Ezra Pound aus der Klappse von St. Elizabeth, eine nette Story zum Nachdenken von Großmeister Manson persönlich via Fernmelder übermittelt, Nietzsche-Zitate, mystisch anmutende Bildfetzen und Symbole im Booklet. Das Cover der CD ziert u.a. das Logo der Band, ein Krukenkreuz. Reichlich Reibungsfläche also für die politisch extremen Lager. Hatten die Rechten endlich jemand, der offensichtlich ihren "Kulturkampf" in die Realität umsetzte, freuten sich die Linken wieder über ein klares Feindbild. Moynihan war natürlich nicht die erste dieser Schlüsselfiguren und Kristallisationspunkte, die die Schwarze Szene in Verbindung mit rechten Ideologien bringen. Moynihan ist sozusagen der Ziehsohn mindestens zweier dieser Figuren. Auf dem NON-Album "In The Shadow Of The Sword" findet sich der Titel "Total War", der gelegentlich in den schwarzen Diskotheken läuft. Die Szene hat diesen Titel mehr oder weniger angenommen. Für was für einen Geisteszustand das spricht, mag jeder selbst entscheiden. Viel wichtiger ist jedoch wie so oft im Leben das Kleingedruckte: "Total War" wird von NON 1989 live in Osaka eingespielt, in der Besetzung Boyd Rice (Kopf des Ein-Mann-Projektes), Douglas Pearce, Tony Wakeford, Michael Moynihan und Rose McDowell. Spätestens bei diesem Name-Drobbing dürfte es bei den meisten klingeln. Lange Rede kurzer Sinn: Die Welt des Herrn Moynihan ist eine sehr dunkele (manche würden braune sagen). Er erzählt nicht nur von Dingen, sondern berichtet aus eigenem Erleben. Und er kennt einige der entscheidenden Leute einfach mal persönlich. Ein Umstand, der "Lords Of Chaos" wirklich interessant macht. Geschrieben wird ja in der heutigen Zeit ziemlich viel, was das Ganze jedoch taugt, steht häufig genug in den Sternen. Insofern ist das, wie es das WOM-Magazin betitelte, "erste Standardwerk des Black Metal", ein Buch dessen Anschaffung sich für den Interessierten wirklich lohnt.
Worum geht es bei "Lords Of Chaos"? Inhaltlich wurde das Thema schon zur Genüge durchgekaut: Black Metal, brennende Kirchen in Norwegen, zwei Morde, Satanismus und schlussendlich Neofaschismus heißen die wesentlichen Stichworte des Buches. Und Varg Vikernes, Bård Eithun sowie Øystein Aarseth. Die letzteren drei sind die wichtigsten Protagonisten der norwegischen Black Metal-Szene, die Anfang der 1990er am entstehen ist.
Alle drei jungen Männer sind kaum zwanzig, wenige Jahre später ist einer tot, zwei sitzen langjährig hinter norwegischen Gardinen. Ein anfangs vor allem pubertärer Männerzirkel ist zur Keimzelle seltsamster radikaler Entwicklungen geworden. Die Beschäftigung mit Heavy Metal hat zum Satanismus geführt, der in Verkehrung der Gegebenheiten gegen das stock-bigotte norwegische Christentum rebelliert. Der sozialdemokratische Muster-Sozialstaat hat Monster hervorgebracht, die nur eins wollen: ihre spitzen Zähne in das Fleisch der Gesellschaft schlagen und ihre Blutgier befriedigen. So zumindest versucht Moynihan seine bösen Helden darzustellen. Lustig sein Streben, die im Black Metal obligatorische Wahl eines Synonyms mystisch auszudeuten. "Spiegeln die Namen den Geist der sie bezeichnenden Personen auf unheimliche Weise wider? Oder sind die Träger dazu bestimmt, das Schicksal zu erfüllen, das ihnen diese Titel verheißen?", fragt Moy-nie-ham. Ein Beispiel: Mayham's erster Sänger Dead hatte den Kurt Cobain-Test erfolgreich bestanden. War die Wahl seines Namens nun zufällig oder ahnte er seinen baldigen Tod voraus? Geht man davon aus, dass man beim Anlegen einer Schrotflinte an den Kopf ein gewisses Maß an Plan braucht, sollte Dead schon gewusst haben, was er da tut. Ob ihn allerdings die finstere Stimme seines Names dazu gedrängt hat, wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben. Und das von Herrn Moynihan auch. "Lustig" auf andere Art und Weise auch der Umstand, dass WG-Kumpel Øystein aka Euronymus ("Prinz des Todes" den reichlich zerfledderten Leichnam seines Ex-Mitbewohners erst ausführlich fotografiert, Schädelknochenstücke einsammelt und dergleichen mehr, bevor er die Polente ruft. Eine Geschichte, die ein bezeichnendes Bild auf die ver-snuff-ten Schwarzbrüder wirft. Eine Szene in der jeder versucht, extremer zu sein, als der andere. Eine Gruppe an Leuten, die einmal alles in Frage stellen wird, was die heutige westliche Gesellschaft mit ihren christlichen Werten an "Gutem" hervorgebracht hat: Mitgefühl, Humanismus, Sozialdemokratie. Irgendwie erinnert das Ganze in fataler Weise an die Machtergreifung der Nazis in Deutschland. [Warum dieser Mist gerade in unserem Vaterland passieren musste, wird wohl ewig ein Rätsel bleiben. Faschistische und kommunistische Bewegungen gab es praktisch überall in Europa. Genauso, stark konservative Kräfte, die die beiden extremen Gruppen gegeneinander ausspielten, um selbst an Macht zu gewinnen. Ariosophische Esoteriker und ökologische Wandervögel, den Neid der Verlierer und das Streben nach Mehr. Nur in Deutschland bildete sich jedoch daraus diese explosive Mischung die die Welt verwüstete und fast zur Selbstausrottung einer ganzen Nation geführt hat. Ganz zu schweigen von der riesenhaften Sickergrube an Verbrechen, die im Namen des Nationalsozialismus geschahen. disorder]
Mancher mag diesen Vergleich für ein wenig weit hergeholt halten und er hat recht. Natürlich hat die Geschichte des Black Metal mit der des National-sozialismus nur sehr wenig zu tun. Vielmehr scheint die skandinavische Entgleisung eine Art soziologischer Feldversuch für die Entstehung atavistischer politischer Bewegungen zu sein. Der Ausdruck "atavistisch" in der Form einer "Rückbesinnung" auf Tierisches, Un-Menschlisches, Un-zivilisiertes gebraucht, trifft den Kern der Sache sehr genau.

Mancher mag diesen Vergleich für ein wenig weit hergeholt halten und er hat recht. Natürlich hat die Geschichte des Black Metal mit der des Nationalsozialismus nur sehr wenig zu tun. Vielmehr scheint die skandinavische Entgleisung eine Art soziologischer Feldversuch für die Entstehung atavistischer politischer Bewegungen zu sein und das macht "lords Of Chaos", den Blick hinter die Kulissen, so wertvoll. Der Ausdruck "atavistisch" in der Form einer "Rückbesinnung" auf Tierisches, Un-Menschlisches, Un-zivilisiertes gebraucht, trifft den Kern der Sache sehr genau. Black Metal ist dabei eine Möglichkeit dieser Rückbesinnung, das Streben "uralte" Werte wieder zu beleben, zurück zu finden zu einer "natürlicheren" Lebensweise der menschlichen Rasse. Indem Moynihan diese Philosophie darstellt, fragt er unterschwellig nichts anderes als: "Müssen wir uns von unserer Zivilisation befreien?" Unterstellt man ihm selbst keine faschistischen Absichten und betrachtet die Wiederbelebung des Tieres im Menschen als eine Option, die Menschheit vor dem drohenden Untergang zu erretten, so darf man trotzdem nicht vergessen, welche Kräfte hier entfesselt werden. Die Zeit unter dem Hakenkreuz hat gezeigt, dass dieser Weg ein steiniger ist und viele Gefahren in sich birgt. Macht in den Händen der Falschen führt unweigerlich in die Katastrophe. In unserer heutigen Zeit sind die Gefahren gewachsen. Fast jeder Staat der es sich leisten kann, verfügt über Atombomben. Was in geheimen Labors an potenten und potentiellen B- und C-Waffen noch so vor sich hin lagert oder köchelt, weiß niemand. Eine Seuche wie Ebola als Waffe benutzt, könnte schlussendlich dazu führen, dass die Menschheit den Endsieg über ihren ärgsten Feind, die Menschheit, erringt. Ob die "Lords Of Chaos" zu Ragnarök triumphieren werden oder in den Kanon der Wehklagenden einstimmen, wenn ihre heiligen norwegischen Wälder von Agent Orange und seinen Freunden besucht wurden, bleibt abzuwarten.

 

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