Aldo Chimenti „Verborgen unter Runen“ (Plöttner Verlag)

Death In June gehört unbestritten zu den interessanteren und am meisten umstrittenen Bands der Independent-Szene. Kopf des Projekts und letztes verbliebenes Gründungsmitglied ist Douglas Pearce, der von seinen Anhängern abgöttisch verehrt wird. Dafür ist zum einen die einerseits sehr einfache, andererseits sehr komplexe, meist weltschmerzgetränkte und romantische Musik verantwortlich. Zum anderen aber sicher auch der Status von Pearce als quasi-Begründer eines Musikgenres (Neofolk) sowie als unbeugsamer Verteidiger seiner eigenen künstlerischen Freiheit. Sein homosexuell geprägter Uniformfetischismus auf der einen und das anhaltende Interesse für europäische Kultur und das Drama des Zweiten Weltkriegs auf der anderen Seite haben immer wieder dazu geführt, dass Pearce und Death In June eine „Ästhetisierung des Nationalsozialismus“ vorgeworfen wurde. All dies hat – wie sollte es auch anders sein – zur Folge, dass der Band auch in neurechten Kreisen Aufmerksamkeit zu Teil wurde, was wiederum dem Vorwurf neue Nahrung gab, bei Death In June handele es sich um eine „rechte", wenn nicht gar „rechtsradikale“ Band. Mit anderen Worten: Es besteht bei musik- und politikinteressierten Menschen ein immenser Bedarf, mehr über die Hinter- und Beweggründe von Douglas Pearce zu erfahren und was es mit Death In June auf sich hat. Bei Manchem spielt da sicher auch das Bedürfnis eine Rolle, die ästhetisch als schön empfundene Musik endlich wieder mit gutem Gewissen hören zu können, schließlich will niemand wirklich Nazis unterstützen (außer er ist selbst so drauf).
Allen, die sich dieses Buch mit diesem Vorsatz zulegen wollen, kann ich ehrlich gesagt nur abraten. Als ich endlich das Ende dieses „Ziegelsteins“ erreicht hatte, überwog eine große Erleichterung. Ich hatte mich durch über 400 Seiten schwülstigen Geschwafels gegraben, das mich mehr als einmal so wütend machte, dass ich das Buch in die Ecke schmeißen wollte. Eine (zufällig ausgewählte) Kostprobe gefällig? „Dies ist das Geständnis einer tragischen Maske, die von ihrem erleuchteten Irrsinn überwältigt scheint. Es werden die Symbole der heiligen Wissenschaft reklamiert: dieser mysteriöse Quell überweltlicher Provenienz, der das Innere fühlen, das ernste Karma des Komponisten und Philosophen nährt, jedoch in das Dunkel der winterlichen Nacht abgedrängt ist. Douglas P. registriert das ungastliche Klima dieser bleiernen Zeit, die so schwächlich ist, wie nie zuvor, zudem erbärmlich gefangen im Treibsand des bevorstehenden Endes. Er spürt in einer Einöde blutleerer und seelenloser Körper, von dumpfer ungesunder Atmosphäre und ‚erstickender Luft‘ zu leben. Wobei seine Erinnerungen die Stille sind, die flüstert, schreit, verzehrt und erschüttert...“ (S. 249). Zugegen, das ist noch eine der verständlicheren Passagen dieses Buches, doch schon an diesem kurzen Abschnitt lassen sich so gut wie alle Probleme von Chimentis Werk aufzeigen, doch dazu später.
Der Autor Aldo Chimenti hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das kulturelle Phänomen DEATH IN JUNE zu beleuchten. Er hätte diese Aufgabe sicher auch bewältigt können, schließlich ist er zum einen ein etablierter Musikjournalist, zum anderen ein langjähriger Fan der Gruppe. Doch Letzteres scheint genau sein Hauptproblem zu sein. Chimenti fehlt jeder Abstand zu den vergötterten Künstlern; statt einer nüchternen Betrachtung der Kompositionen und Motivationen von Douglas Pearce präsentiert er dem Leser seine barock ausgeschmückten und bis zur Unkenntlichkeit verzierten Assoziationsketten zu dessen Werken. Dazwischen finden sich durchaus auch einige erhellende Informationen, insbesondere die häufig aus Interviews entnommenen Zitate und die sehr genaue chronologische Schilderung der Ereignisse werden sicher auch mit der Materie Vertrauten noch einige neue Erkenntnisse bringen. Insofern ist „Verborgen unter Runen“ sicher nicht nutzlos aber das Werk zu lesen, ist alles andere als ein Genuss. Bei seinen Ausführungen wirft Aldo Chimenti im Sekundentakt mit Worten um sich, bei denen der Normalbürger ein Lexikon zur Hand haben muss, um ansatzweise folgen zu können (ein Teil der Begrifflichkeiten ist dankenswerterweise am Ende des Buches im Glossar aufgeführt). Intellektueller Tiefgang ist eine gute Sache, doch stellt sich die Frage, für wen der Autor das Buch schreibt, wenn er mit seinen hermetischen Konstruktionen mehr verwirrt als aufklärt. Aber dies schien mir schon immer eines der Probleme dieser Szene zu sein – als langjähriger Konsument des Magazins Sigill kannte ich bereits zahlreiche dieser Texte, die nur Eingeweihten zugänglich sind und in denen mit absoluter Selbstverständlichkeit die verschiedensten philosophischen und theologischen Konzepte in Rezensionen, Buchbesprechungen etc. eingeflochten werden, als wären sie Allgemeingut. Das Lustige daran: Sobald man sich selbst ein wenig damit auskennt, fällt häufig genug auf, dass die Verwendung dieser Begrifflichkeiten oder die Einflechtung von Zitaten bekannter Persönlichkeiten (besonders beliebt die Trinität Nietzsche, Jünger, Evola) nicht selten von wenig Sachkenntnis getrübt ist. Bei Chimenti möchte ich gern glauben, dass er im Großen und Ganzen weiß, wovon er redet, doch ändert das nichts an der Tatsache, dass er sich nicht bemüht, ein lesenswertes Buch zu schreiben und stattdessen dem ahnungslosen Konsumenten mit seinen verdrehten Schwärmereien „ein Ohr abkaut“. Der Faktengehalt allein rechtfertigt den Umfang des Buches auf jeden Fall nicht. Hätte sich der Autor auf das beschränkt, was er an tatsächlicher Information, gern auch mit persönlicher Wertung, dem Interessierten zu bieten hat, dann hätte die Hälfte der Seiten genügt.

Doch das ist nicht das Hauptproblem von „Verborgen unter Runen“. Viel mehr sind es die politischen Implikationen des Textes. Zwar handelt es sich dabei um die Interpretation des Death In June-Schaffens durch Chimenti, doch dürften diese auch für einen nicht unwesentlichen Teil der Fanschar zutreffen. Dass der Italiener einen eurozentrischen Blick auf die Geschichte und die Weltpolitik hat – geschenkt. Doch immer wieder scheint Chimentis rückwärtsgewandte, restaurative Weltsicht unangenehm durch: Europa war aus seiner Sicht vor dem Zweiten Weltkrieg der Nabel der Welt – zu einer Zeit, als die meisten europäischen Länder noch von einer Ständegesellschaft geprägt waren und vielerorts keine Demokratie herrschte, in „den guten alten Zeiten“ also – und aktuell befinden wir uns in einer Niedergangsphase, weil es keine „echten Männer mehr gibt“, die Europa zu altem Glanze führen (Frauen spielen im ganzen Buch so gut wie keine Rolle). Das zutiefst ambivalente Werk von Death In June dient dem Autor dabei als Projektionsfläche für seine Träume von einem vom Rest der Welt unabhängigen „Europa der Nationen“, Douglas Pearce wird zum Hohepriester und Propheten einer konservativen Revolution, die die alten Verhältnisse wieder herstellt. Dass es von solch einer Sicht nicht allzu weit zum Faschismus ist, zeigt die Verherrlichung der SS als Prototyp der „Bruderarmee“, die sich gegen den Verfall der „europäischen Werte“ stemmt. Während beim Briten Pearce die obsessive Beschäftigung mit den deutschen Soldaten des zweiten Weltkrieges unter vielen anderen Aspekten auch als „Umarmung des ehemaligen Feindes“ verstanden werden kann (Douglas Vater kämpfte im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen), werden bei Chimenti Wehrmacht und SS zum, wenn auch nur symbolisch gemeinten, Fackelträger des Kampfes gegen alles „uneuropäische“, als zersetzend Empfundene.
Sicher: Pearce ist nicht Chimenti und die Intentionen des Künstlers sind andere als die mancher seiner Fans. Doch müsste dem Briten klar sein, dass sein Auftreten, das Artwork der Platten, und die von ihm aufgegriffenen Themen zumindest den Verdacht nahelegen, er stünde politisch rechts außen. Ich kann verstehen, dass ein Künstler keine Lust hat, sein Werk zu erklären und dem Konsumenten alles mundgerecht zu liefern, damit dieser nicht mehr nachdenken muss. Genau das Gegenteil bezweckt Douglas Pearce ja bekanntermaßen. Sich jedoch jeder Stellungnahme zu verweigern, ist alles andere als klug, schließlich wird so das Werk von zum Teil sehr unangenehmen Zeitgenossen vereinnahmt, wie auch dieses Buch wieder zeigt. Denn es ist der Versuch Chimentis, die Interpretationshoheit über das Werk von Death In June an sich zu reißen, was zudem durch die zahllosen suggestiven Formulierungen unterstützt wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Verborgen unter Runen“ für echte Fans von Death In June sicher eine Vielzahl interessanter Informationen enthält, wenn auch verborgen unter reichlich aufgeblasenem Raunen. Die zahlreichen Bilder im Text sind leider nur selten betitelt, stehen aber meist im Zusammenhang mit dem aktuellen Kapitel. Zwei auf Fotopapier gedruckte Abschnitte zeigen eine Auswahl persönlicher Fotos von Douglas Pearce, die das Herz jedes Fans erfreuen werden.
Besonders lesenswert und aus meiner Sicht das Kernstück des Buches ist das Nachwort von Herausgeber Alexander Nym, der das reichlich schiefe Bild, das sich nach Lektüre ergeben könnte, wieder zurechtrückt.

 

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