Silent Fears - Compilation (3 CD-R, Theremin Noise Club)

Meine Fresse, das ist ein richtig dicker Brocken: Drei CDs vollgepackt mit insgesamt 21 Künstlern, bekanntere und unbekannte. Die Titel haben häufig auch noch Überlänge, nur wenige Stücke sind unter acht Minuten. Nichtsdestotrotz lässt sich sagen, dass es bei der Fülle des Materials kaum Ausfälle gibt. Einzelne Stücke hervorzuheben fällt schwer, deshalb soll hier auf jeden einzelnen kurz eingegangen werden.

Gleich das allererste Stück "Ginnunggagap" von Aetherfront weiß mit seinem langsamen, marschartigen Rhythmus und den klassischen Klängen gefangen zu nehmen, vielleicht nicht unbedingt über die gesamten 11 Minuten, so doch zumindest über weite Strecken. Insgesamt erinnert es mich ein wenig an ältere Cold Meat-Sachen oder Schloss Tegal.
Auch The Sound Of Earth, sonst eher etwas abstrakter, bedienen sich streckenweise einer "rituellen Trommel". Insgesamt lassen sich die einzelnen Teile des 20-Minütigen Stückes nur schwer zu einem Ganzen verbinden. Das hat etwas von den verschiedenen Abschnitten einer Reise, die zwar nahtlos ineinander übergehen aber doch durch die unterschiedlichen "Fortbewegungsmittel" geprägt sind. Auffällig für The Sound Of Earth ist der sehr moderate Klang, der ohne noisige Einlagen auskommt. Gegen Ende wird's gar richtig rituell, wenn eine große Trommel geschlagen wird.
Die findet sich auch bei Persona wieder, doch ist es hier nicht möglich, sich fallen zu lassen. Die Musik ist eingebettet in eine Art Hörspiel, mit Schritten, Schlüsselklappern etc.. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Geräusche eines jungen Mannes, der offensichtlich Magenschmerzen hat. Vielleicht wird er aber auch gequält, hoffen wir mal, dass das aus seiner Sicht Angenehmere der Fall ist. Die Basis des Stückes besteht über weite Strecken aus dunklen Drones, die eine bedrohliche Atmosphäre schaffen - für mich die beste Umsetzung des Themas Angst. Gelegentlich gewinnt ein fettes, weißes Rauschen die Oberhand, das symbolisiert dann wahrscheinlich den Moment der größten Verzweiflung. Die diesmal in französisch gehaltenen vokalen Beiträge werden von der Dame des spanischen Duos mit einer Kleinmädchenstimme vorgetragen, was dem Ganzen eine zusätzlich (alp)träumerische Komponente verleiht.
Moon tragen ein recht hübsches, träumerisch-schwelgerisches Synthesizerstück mit dezenter Rhythmik bei (ist das ein Moog?). Die streckenweise Verzerrung des Sounds ist sicher Geschmackssache, verhindert aber ein Abgleiten ins Süßliche.
Ebenfalls sehr entrückt ist das Stück von Rauschform. Tragendes Element ist eine Spieldosenmelodie. Dazu gesellt sich in den Hintergrund gemischter, pulsierender Rhythmus wie man ihn aus diversen Technospielarten, z.B. aus dem Goa oder auch von Coil kennt, der sich aber nur im mittleren Frequenzbereich bewegt und die Bässe ausspart. Ebenfalls pulsierend liegt darüber ein "kreischender", stetig mit Effekten veränderter Loop, das sich ins Gehirn frisst. Eine auf Dauer sehr anstrengende Mixtur, weshalb Rauschform wahrscheinlich unterhalb der Fünfminutengrenze geblieben sind, um den Hörer nicht über Gebühr zu strapazieren.
Bei Radiator Blues geht unter der Verzerrung fast jeder Klang verloren, doch hört man verschiedenes Instrumentarium hinter einer rhythmisch gefalteten Noisewand hervordringen. Am auffälligsten dabei ist eine distortion-geplagte E-Gitarre. Wirklich Freude will jedoch keine aufkommen, denn dafür ist das Ganze einfach einen Zacken zu chaotisch. Mit Blues hat das gar nichts zu tun, dafür wohl eher etwas mit einem Radiator, nur würde ich selbigen durch ein neues Gerät ersetzen, wenn er solche Geräusche machte. Schon sehr "freejazzig" und überhaupt nicht mein Ding.

Tardive Dyskinesia gehören für mich zu den wirklich interessanten Ambient-Projekten der letzten Zeit und auch mit ihrem Beitrag zu dieser Compilation zeigt Ronny Herling, wo seine Stärke liegt; im Schaffen bedrohlicher und hypnotischer Atmosphären. Der Sound ist nicht zugekleistert, sondern sehr differenziert und abwechslungsreich.
Kadaver werden ihrem Namen nur bedingt gerecht, so düster und verrottet klingen sie nicht. Mehr scheint ihr Stück einer Improvisation entsprungen, klingt wesentlich roher als z.B. Tardive Dyskinesia. Geräusch- und Keyboardflächen, Gequietsche, Geknister und Geschmirgel, eine verleierte Stimme: Das sind die Zutaten, aus denen sich dieser Track zusammensetzt.
Matamore arbeiten wiederum mit einfachen noisigen Loops, die mit sphärischen Gitarren- und Keyboardklängen sowie Streichersounds kombiniert werden. Die einzelnen Layer werden übereinander geschichtet, bis es fast nicht mehr möglich ist, sich auf ein Element zu konzentrieren. Dann verlieren sich langsam einzelne Quellen im Hintergrund um später wieder aufzutauchen.
Flutwacht und Vronthor beginnen ihr Stück mit einem interessanten Sample, bauen darum sehr, sehr langsam ihre Walls Of Sound auf. Nach der Hälfte der Zeit scherbelt es dann aber ganz unmissverständlich, ein rhythmischer Bassloop verstärkt den Eindruck einer tobenden Schlacht, dazu gibt es elektronisch verzerrtes Kreischen. Nach dem ersten Hoch darf wieder Luft geholt werden, bevor das Klanginferno erneut einsetzt. So geht es einige Male im Wechsel hin und her, bis ein rückwärts laufendes Sample das Ende des Stückes einläutet.
Ähnlich wie Kadaver klingt auch N.Strahl.Ns Beitrag eher "körperbezogener", da hier vor allem Field Recordings zum Einsatz kommen. Das Stück wirkt wie der entrückte Sound einer großen, mechanischen Maschine. Der tragende Rhythmus ist sehr langsam und monoton, jedoch nicht am Rechner produziert. Der quietschende und kratzende Part verhindert zusätzlich ein synthetisches Hörgefühl.
Bonemachine klingen über weite Strecken wie eine Fortsetzung des zuvor Gehörten. Nur ist die Knochenmaschine zu gut geölt. Bei niedriger Geschwindigkeit rattert sie, ohne großartig Höhepunkte zu produzieren, so vor sich hin.

Uruk-Hai liefern das kürzeste Stück der ganzen Compilation ab. In nur etwas mehr als drei Minuten entwickeln sie ihren leicht östlich-esoterisch angehauchten Sound, der mit einer winzigen Dosis Osteuropa-Folklore versetzt wird. Etwas gewöhnungsbedürftig glatt das Ganze, insbesondere wenn am Ende eine "sphärische" Frauenstimme einsetzt.
Nicht minder mystisch, wenn auch soundtechnisch wesentlich düsterer geht es bei Angel's Flesh zur Sache. Sehr spacige, "explodierende" Klangflächen, Zischen, Fauchen und an die Klagelaute von Tieren erinnernde Tonfolgen - nichts was man bei einem nächtlichen Spaziergang durch den Wald hören möchte.
An Mönchsgesang erinnert der Stimmeinsatz bei Chaoticum, die ihren Namen im Übrigen nicht zu wörtlich nehmen. Der Track ist über weite Strecken sehr überschaubar strukturiert. Ein Drone, ein Herzschlag-Rhythmus, zeitweise ein federndes Geräusch, dessen Ausgangsort wandert. Nicht schlecht aber auch nicht chaotisch. Nach und nach werden weitere Klangschichten hinzu addiert und langsam füllt sich der Name mit Sinn. Der Rhythmus wird härter, das ganze Stück gewinnt an Fahrt. Gegen Ende, ein Großteil der übrigen Sounds haben sich bereits wieder verabschiedet, lässt man noch den Heavy Metal-Fan raushängen und quält die E-Gitarre, allerdings klangtechnisch seltsam verschoben.
Hexathurz gehen dagegen sehr ruhig zu Werke. Einige übereinander geschichtete Loops aus verschiedenen Quellen ergeben eine angenehm abgespacte Atmosphäre. Da das Stück nicht allzu lang ist, kommt auch keine Langeweile auf. Die (un)menschlichen Stimmen am Ende sorgen zudem für einen horroesken Schauer.
Bei den Souls Of Nephilims dominiert dagegen eine leicht süßliche Keyboardmelodie, die mir nicht so recht zusagen will. Da sich über die gesamte Länge des Stückes daran nichts ändert, gibt es auch keinen Grund mehr zu sagen. Ganz nett aber nicht wirklich "dark".
Der Beitrag von Life's Decay sagt mir da schon wesentlich mehr zu. Ein leicht martialischer Gesamteindruck entsteht durch den dezenten Marschrhythmus und die orchestral angelegte Komposition mit Glockenklängen und elektronischen Trommelschlägen. Gerade dann wenn man sich ein wenig mehr Power wünscht, legen die Musiker einen Gang zu und das ist gut so. Die zusätzlich einsetzenden Streicher runden das Ganze noch ab.
Dass es sich bei H5N1 um die auch für Menschen gefährliche Variante des Vogelgrippe-Virus handelt, dürfte allgemein bekannt sein. Zwar hieß die Krankheit früher Geflügelpest aber das tut nichts zur Sache, denn hier geht es ja um Musik und die passt schon zum Namen. H5N1 fallen "ästhetisch" völlig aus dem Rahmen, da sie weder schwebende Klänge noch eine düster-elegische Stimmung produzieren. Stattdessen gibt es eine Art verstört-verstörendes Hörspiel mit zahlreichen Samples, verzerrten und anderweitig disharmonischen Sounds. Auf jeden Fall eine gute Auflockerung im Gesamtbild dieser CD, wenn auch nicht unbedingt mein Favorit. Gut gefallen mir hingegen die integrierten Naturaufnahmen gegen Ende - das hat so was Beruhigendes.
Likantropika machen dann wieder typischen Dark Ambient, der sich ganz langsam steigert. Viel mehr ist fast nicht zu sagen - der Titel läuft unspektakulär und völlig entspannend ab. Ähnliches lässt sich über A Quiet Womb sagen, nur, dass dort arabischer Gesang, ein seltsamer Tierruf und Glocken für Akzente sorgen. Das klingt zwar jetzt erst einmal völlig konfus, integriert sich aber wunderbar in die schwebenden Sounds und sorgt insgesamt für ein gutes Gefühl. Die gregorianischen Gesänge, die später einsetzen, empfinde ich als etwas überflüssig. Die etwas disharmonische Auflösung am Ende geht aber in Ordnung.

Abschließende Bemerkung:
Die Rezension von "Silent Fears" hat echt Kraft und Zeit gekostet. Das Problem mit Musik, wie sie sich auf diesem Sampler befindet, ist hinreichend bekannt. Eigentlich ist es kaum möglich "Ambient" zu beschreiben. Der Sound ist flüchtig und mit gesteigerter Konsumptionsdauer - bei dieser Unmenge an Stücken ist die reichlich hoch - wird es immer schwerer, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Projekten herauszuhören. Auch hängt das Ergebnis der Rezeption nicht unwesentlich vom momentanen Zustand des Hörenden ab. Was heute als besonders interessant empfunden wird, kann morgen schon störend wirken. Insofern ist es schwer, ein abschließendes Urteil abzugeben. Ich möchte deshalb nur sagen, dass man für diese Dreifach-CD ohne schlechtes Gewissen ein Ohr riskieren kann, sinnvollerweise teilt man sich den Genuss aber ein. Für gute Unterhaltung ist gesorgt, "Fachleute" sollten aber nicht unbedingt eine Offenbarung erwarten. Abschließend bleibt nur noch eine der typischen Schwächen des Genres anzukreiden: Das Motto "Fasse Dich kurz!" scheint sich nicht allzu großer Beliebtheit zu erfreuen. Wenn man über zwanzig Minuten eine Spannung halten kann, ist das kein Problem. Wenn nicht, sollte man vielleicht schon in fünfen zum Ende kommen. Aber wie gesagt, dass ist ein allgemeines Phänomen und kein typisches Manko dieses Samplers.

Titel:
CD1
1. Aetherfront - Ginnungagap
2. Sounds Of Earth, The - Struggle For Control
3. Persona - Dolor Irreversible
4. Moon - The Snow Is Falling On A Distant Planet
5. Rauschform - Reality Torn Apart
6. Radiator Blues - Momentary (The Wind, The Worms, The Wood)

CD2
1. Tardive Dyskinesia - Murdering Spirits
2. Kadaver - The Moon Bares Teeth (Part 3)
3. Matamore - Senior Bartel
4. Flutwacht with Vronthor - LSD Soldier
5. N.Strahl.N - Krebsnebel
6. Bonemachine - Heimkehrer

CD3
1. Uruk-Hai - Keeper Of Nenya
2. Angel's Flesh - Sous-Sol
3. Chaoticum - Thelemachus Unveiled
4. Hexathurz - Breed Of A Ritual
5. Souls Of Nephilims - Forbidden
6. Life's Decay - Sphere
7. H5N1 - Organic Spread Defiance-DC2
8. Likantropika - Quatermass
9. A Quiet Womb - For Those Who Cannot Relax

 

 

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