V.A. - Desert Space (3 CD-R, Tosom)

Schon wieder ein Dreifach-Ambient-Sampler, wer denkt sich eigentlich solche Gemeinheiten aus? Erneut bedarf es einigen Durchhaltevermögens, sich durch das ganze Angebot hindurch zu arbeiten. Während "Silent Fears" optisch und thematisch sehr schwarz daher kam, ist "Desert Space" von der lichten aber lebensfeindlichen Wüste geprägt. Inwieweit die einzelenen Künstler das Konzept wirklich in ihre Soundfindung einbezogen haben, vermag der Rezensent nicht zu sagen, sehr schön ist der Sampler trotzdem geworden. Da Wüste eher wenig nach harschen Geräuschen klingt, ist der größte Teil der hier versammelten Werke wirklich ruhiger Natur. Gestalterisch ist der Einsatz der Fototechnik hervorzuheben, auch die an ein altes Buch über die Wüste erinnernden Motive wissen zu gefallen.

Jedes Stück im Einzelnen zu analysieren, dazu fehlt mir zugegebenermaßen ein wenig die Ausdauer. Auch ist es schwer sich nicht ständig zu wiederholen, da das Werkzeug allgemein bekannt ist, mit dem ambiente Klangskulpturen aus der Stille gehauen werden. Ein Bild, das insgesamt recht gut passt, den die meisten Stücke, ob nun auf endlosen elektronischen Loops oder auf Gitarreneffekten wie bei Aiden Baker beruhend, haben einen monolithischen Charakter und sind damit im besten Sinne Ambient, Umgebungsmusik. Deren Charakteristik ist ja genau das Unaufdringliche, das Befreitsein von Melodie und Rhythmus.

Halo Manash - ein mir bisher unbekanntes Projekt - beginnen sehr mystisch und extrem langsam. Wenn die große Trommel klingt, fühlt man sich an Szenen aus alten Filmen erinnert, wenn ein Stamm die Götter beschwört. Ein sehr schönes Stück, wenig spektakulär aber sehr intensiv. Das Gleiche lässt sich für N.Strahl.Ns Beitrag feststellen, doch macht der mich regelmäßig nervös. Beim Hören stellt sich unwillkürlich die Frage: Regnet es jetzt oder nicht? Nimmt man die Kopfhörer aus dem Ohr, fallen dann doch keine Sturzfluten vom Himmel. Tardive Dyskinesia kommt mit einem sehr angenehmen, leicht trancigem Rhythmus daher. Dazu gibt es Klänge wie von einer Sommerwiese aber reichlich elektronisch verfremdet. Das Ganze verursacht die Assoziation einer künstlichen, synthetischen Welt. Feu Follet faszinieren mich vor allem durch den französischen Text, von dem ich kein Wort verstehe und an dessen purer Klangschönheit ich mich erfreue. Musikalisch ist mir der Track eine Nummer zu romantisch. Compest pflegen hingegen Fabrikatmosphäre. Ein langsames maschinelles Dröhnen erfüllt die Halle und an allen Enden schleift, hämmert, zischt und sägt es. Sehr authentische Klangkulisse, die durch ihre klangliche Entrücktheit ein wenig entschärft wird. Aiden Baker bietet uns dann einen "Untitled Drone", der ebenfalls sehr schön hypnotisch ist und eher eine Art neutrale Stimmung erzeugt. Wohltemperiert sozusagen. Roy Arne Knutsen macht damit gleich weiter, geht aber deutlich hörbar ein Stück tiefer. Dann wird es mit Seppuku Boogie richtig kunstvoll romantisch - man merkt ganz deutlich, dass hier Meister der Tonsetzkunst am Werke sind. Für ihre Doppel-CD "Café Deutschland / Live In Samoa" werden an anderer Stelle lobende Worte gefunden werden. Völlig aus der Reihe fällt Karl Bösmanns Beitrag, der wahrscheinlich nur aus manipulierten Stimmsamples besteht. Das wirkt nach den durchweg ruhigen Stücken etwas nervig, dringt aber bei zunehmender Konsumdauer ziemlich tief in das Unterbewusstsein des Hörers, der sozusagen "aufgebohrt" wird.
Ganz langsam und leise beginnt die CD 2 mit dem "The Flight Of Pluto" von Closing To Eternity. Musikalisch erinnert das Ganze ein wenig an die Planetentöne, die klangliche Änderung pro Zeiteinheit ist marginal. Ganz schön durchdringend. Oophoi hauen in eine ähnliche Kerbe, wenn auch mit ein wenig mehr Variationsbreite. Zu dem Sound könnte man sich ganz gut eine gute Dokumentation über die Wüste vorstellen. (Umgekehrter Soundtrack, sozusagen ;-) Und so geht es weiter mit False Miror, die noch eine leicht "esoterische" Ebene hineinbringen, so dass es nach tibetischer Eiswüste klingt. Das nächstfolgende Stück von Netherworld gefällt mir insbesondere durch das Martialische, seine Schwere und dank der vom Künstler erzeugten mystischen Stimmung.
Phelios schlagen dann wieder die Richtung vom Anfang der CD ein. Vivian Gabin durchbricht die bis dahin dominante "entspannte Atmosphäre" mit rauen Sounds und einem ziemlich abstrakten Stück im Collagen-Stil. Ganz lustig dabei die fremdsprachigen Gesänge. Da sich das Ganze "Persian Love Song" nennt, ist davon auszugehen, dass es persisch ist, was wir da hören. Leider bin ich sprachlich nicht in der Lage, das zu erkennen.
Bei Vivian Gabin setzt sich das nur bedingt fort, "neu" ist hier vor allem der Einsatz eines dominanten Samples zur Einleitung. Die ziemlich heftigen "Paukenschläge" und später stimmbasierte Noiseeskapaden reißen den Hörer zudem aus der verträumten Stimmung. Nachdem Atrox das Tempo wieder mit einem an "Ultimate Control" von Psychologische Abwehrfront erinnernden Stück das Tempo sehr heruntergefahren hat, machen Brandkommando mit mäßig verzerrten Sounds ihrem Namen zumindest ansatzweise Ehre. Strukturell lehnt man sich aber an den anderen Dark Ambient Stücken an, die Geschwindigkeit ist ebenfalls eher verhalten. Der letzte Titel Tesendalo's "Hagelkorn" klingt wie auf der Spielekonsole zusammengebastelt. Auf Dauer sind die Pling-Plong-Sounds etwas nervig aber eine nette Idee. Man sieht regelrecht die putzigen Figuren durch die animierte Landschaft schlendern.

CD3 beginnt mit einem etwas nervigen Stück von Stillstand. Nach der 25ten Wiederholung habe ich es verstanden: Europa wird zur Wüste. Auch musikalisch ist der Keyboardsound nicht unbedingt mein Ding. Cría Cuervos dagegen lässt sich leicht "überhören", denn die Geräuschcollage hat kaum Struktur und bleibt nicht im Gehirn haften. Aiden Baker trägt eines seiner typischen, wenig veränderlichen Drone-Stücke bei, das mit entrückten Geigen und Plattenknistern angereichert wird. Bei "Shrine" handelt es sich um ein Ambientprojekt des bulgarischen Musikers Hristo Gospodinov. Sein Stück klingt nach blauem Himmel und Sommerwiese - passend zum Titel "A Quiet Shiny Day Of Contemplation". Sehr entspannend ohne in Pseudoesoterik abzurutschen. Ein wenig "spaciger" kommen Aeoga daher, die zu einem akustischen Flug durch den Kosmos einladen. Ihr Sound schafft eine dunkel-mystische Atmosphäre.
Rotationszentrum sorgen mit einem penetranten Knistergeräusch wieder für etwas mehr Bodenhaftung. Im zweiten Teil des Stückes rührt es ganz schön, ich komme allerdings nicht dahinter, warum mir dieses Geräusch so vertraut ist. Steinfeld nehmen den Ball auf, so dass beim Durchhören der Übergang zwischen den beiden Stücken erst gar nicht auffällt. Insgesamt kommen sie aber etwas düsterer daher. Spätestens, wenn die extrem gestretchte Stimme einsetzt, ist klar, dass eine andere Band am Start ist.
Bei Matamore fällt vor allem die akustische Gitarre auf, die den sehr spröden elektronischen Klängen eine träumerische Atmosphäre entgegensetzt. Im abstrakt wirkenden Zwischenstück verschwindet sie vollständig, um gegen Ende wieder aufzutauchen.
Agenda Kokon beginnen mit Breitbandschmirgeln, wechseln aber mehrfach die Richtung. Zwischenzeitlich wird es gar hochfrequent-schmerzhaft. Da wollen Baradelan nur wenig nachstehen. Nachdem sie akustische ein Flasche entkorkt haben, setzen sie den Schleifer an. Stellenweise tröpfelt es auch nur, gegen Ende schwingen sich Loops zu einer massiven Soundwand auf, um schlagartig abzubrechen. Festung Kronstadt beenden die CD mit einem etwas übersteuert wirkenden Stück, das auf Field Recordings beruht. Das Ganze ist recht kurz ohne große Höhepunkte und wäre vielleicht besser als Interlude geeignet, denn als Ende des ganzen Samplers.

Insgesamt lässt sich sagen, dass mir CD eins am besten gefällt und in sich am meisten geschlossen wirkt. Ganz allgemein denke ich - ebenso wie bei Silent Fears - dass es eine CD auch getan hätte. Aber warum auf Vielfalt verzichten, wenn es sie gibt. In der Wüste ist viel Platz…


Titel:
1.1 Halo Manash - Tulitania
1.2 N.Strahl.N - Kernbetrachtung
1.3 Tardive Dyskinesia - Deeper Silence
1.4 Feu Follet - La Toile De Maja
1.5 Compest - Nefud
1.6 Aidan Baker - Untitled Drone
1.7 Roy-Arne Knutsen - Millom Bakkar Og Berg
1.8 Seppuku Boogie - Apathie Im Supermarkt
1.9 Karl Bösmann - Medan Marced-Place - Part 2 & 3 (Voices Only)

2.1 Closing The Eternity - The Flight Of Pluto
2.2 Oöphoi - Aspidiske
2.3 False Mirror - ... And There Was A Sound As Of Like Big Syrupy Things
2.4 Netherworld - Untitled
2.5 Phelios - Chrono Static Desintegration
2.6 Vivian Gabin - Persian Love Song
2.7 Atrox - Paranoid Part 2
2.8 Brandkommando - Nihilizm
2.9 Tesendalo - Hagelkorn

3.1 Stillstand - Europa
3.2 Cría Cuervos - Cambra De Runes
3.3 Aidan Baker - Untitled Improvisation
3.4 Shrine - A Quiet Shiny Day Of Contemplation
3.5 Aeoga - Subterranean Obsidian-Part 2
3.6 Rotationszentrum - Gegenwind
3.7 Steinfeld - The Green Demon
3.8 Matamore - Church Of Dawn
3.9 Agenda Kokon - Seraphimgluten (Orchetype Remix)
3.10 Baradelan - Response
3.11 Festung Kronstadt - S.A. Camii


zurück        nach oben