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V.A. - Energija
(CD, OMS
Records)
Sergej Pawlowitsch Koroljew
gehört zu den Wegbereitern der sowjetischen Raumfahrt. Der Ukrainer
ist nicht nur als Chefdesigner am Bau von Sputnik, Wostok und Woskchod-Raketen
beteiligt, er blickt auch auf ein sehr bewegtes Leben zurück. So
gehörte Koroljew zu den Opfern von Stalins "großer Säuberung"
im Jahre 1938, in deren Folge der Ingenieur mehrere Jahre im Gulag verbrachte.
All dies und Interessantes zum eng mit Koroljews Leben verbundenen sowjetischen
Raumfahrtprogramm erfährt der Konsument dieser CD, die zum 100-Geburtstag
des Gewürdigten entstand, aus dem Booklet, das in Fülle und
Aufmachung den hochwertigen äußeren Gesamteindruck des Tonträgers
unterstreicht.
Musikalisch würdigen bekanntere und unbekannte Projekte dem menschlichen
Forschergeist am Beispiele Koroljews. Die Art, in der sie das tun ist
reichlich ungewöhnlich. Wer hier reinen Dark Ambient erwartet, sieht
sich einer großen Herausforderung gegenüber. Schon der Eröffnungstrack
von Autopsia ist eher chaotische Bearbeitung eines klassischen, wuchtigen
Orgelstücks als Ambient. First Human Ferro hauen in eine ähnliche
Kerbe, nur dass hier ein ganzes Orchester das Ausgangsmaterial lieferte,
das unharmonisch aber nicht ohne einen gewissen Fluss verhackstückselt
wurde. Das verdient definitiv den Ausdruck "experimentell" und
ist auch für geübte Ohren sehr gewöhnungsbedürftig.
Die Zusammenarbeit von Isomer, The Alarmist und Filivs Macrocosmi geht
ebenfalls nur ansatzweise in Richtung Dark Ambient. Über den Dronelayern
finden sich dennoch reichlich schräge synthetische Fanfaren und anderer
Klingklang, der die meditative Grundstimmung konterkariert. Mit steigender
Laufzeit wird der Track immer komplexer und unübersichtlicher, auch
hier verzichten die Künstler auf allzu viel Harmonisches und ordnen
das Chaos nur ein klein wenig. Erst Polygon und Cisfinitum liefern das
ab, was der geübte Hörer zweifelsfrei dem Genre zuordnen würde:
Vielschichtige, sich langsam entwickelnde Klanglandschaften, dezente Rhythmen,
atmosphärische Sounds, Samples. Für mich eines der schönsten
Stücke der Kompilation, besonders gefallen mir die gezielt eingesetzten
"Störgeräusche".
Vorherrschende Stimmung des gemeinsamen Stückes von Kryptogen Rundfunk
und Nocturnal Emissions ist melancholische Romantik, die kombiniert mit
einigen space-typischen Elektronik-Sounds einen ereignislosen aber darum
nicht minder beeindruckenden Flug durch die Unendlichkeit des Alls assoziiert.
Die Einsamkeit und die daraus resultierende Traurigkeit sind regelrecht
spürbar. Bezieht man diese Empfindung auf den Titel des Stücks,
so denkt Koroljew vielleicht darüber nach, dass es ungerecht ist,
dass er selbst nicht in seiner Rakete den Weltraum erforschen kann. Vielleicht
ging dem Mann aber auch anderes durch den Kopf, wer weiß?
Eine recht dunkel-martialische Variation des Weltraumthemas liefern Vestigal
ab. Hier scheint der maschinelle Aspekt oder die Kälte und Gefahr
des Weltalls im Vordergrund zu stehen. Zum basslastigen Basisdrone gesellen
sich elektronisch verfremdete Schreie, Türklappen und Ähnliches
ebenso wie zeitweise ein ultratiefer, schleppender Beat.
Atomine Elektrine und Tholen gehen das Thema etwas freundlicher an, wenn
auch ohne allzu viel Romantik. Ihre musikalische Exploration des Kosmos
scheint einen neutral-wissenschaftlichen Ansatz zu verfolgen, jedoch ohne
ganz auf emotionale Aspekte zu verzichten. Auch hier sind die typischen
Drones zu hören, wenn auch sehr zurückhaltend. Dazu tropfen
Melodiefragmente durch das Klangbild. Im zweiten Teil des Stücks
dominieren ein japanisches (?) Sprachsample und dezente Keyboardflächen.
Dunkle Keyboardsounds gibt es reichlich beim Beitrag von Deutsch Nepal
und Satori zu hören, die ein sehr episches Stück vor dem Hörer
ausbreiten. Vorangetrieben wird es durch einen pulsierenden Herzschlagrhythmus
über dem hochtönende "Störsignale" aufleuchten.
Der Visions-Beitrag ist ein klassisches "kaltes" und mystisches
Dark-Ambient-Stück ohne allzu viel Strukturen. Etwas ungewöhnlich
ist allenfalls der hintergründig eingesetzte Chor, der sicher aus
dem Keyboard kommt.
Cisfinitum zeigen sich zum Abschluss recht romantisch-melancholisch, der
Titel "Star Ticket" deutet schon ein wenig in diese Richtung.
Besonders interessant sind hier die Ausschnitte aus Koroljews letzter
Vorlesung, so dass der Gewürdigte quasi selbst noch einmal zu Wort
kommt.
Alles in allem eine sehr interessante
Kompilation, die musikalisch ein weites Spektrum abdeckt und inhaltlich
ihr Konzept ausführlich und formvollendet verfolgt. Persönlich
hätte ich noch gern gewusst, wie die einzelnen "kooperativen"
Projekte entstanden sind, darüber findet sich im Booklet leider keine
Information.
Titel:
1. Autopsia - Space Conquerer
2. First Human Ferro - Per Astra
3. Isomer + Alarmist, The + Filivs Macrocosmi - Sharashka_The Path Of
Mind
4. Polygon + Cisfinitum - Separated_Inner Space Surfer
5. Kryptogen Rundfunk + Nocturnal Emissions - Psychic Activity Of Sergey
Pavlovich Korolyov In The Night Before A Start_Zubenelgenubi
6. Vestigial - Tyr
7. Atomine Elektrine + Tholen - Dreamtime Space_From Up Here
8. Deutsch Nepal + Satori - Stella Khruschov_R7: Semyorka Process
9. Visions - Voskhod 2
10. Cisfinitum - Star Ticket
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