V.A. - ...Where Tattered Clouds Are Stranding (2CD, Eastern Front)

Die international vernetzte Neofolk-Szene ist mir ein echtes Rätsel. Mit vorliegendem Sampler feiert man den isländischen Bildhauer und Maler Einar Jónnson (1874-1954). Im Booklet dieser CD sind zwei seiner Skulpturen zu sehen und die sind. Wie kaum überraschend sind die überlebensgroß und irgendwie heldenhaft. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten der beteiligten Musiker über den Isländer bis zu diesem Projekt des israelischen (!) Labels The Eastern Front nicht allzu viel bis gar nichts wussten, vielleicht ist das aber auch falsch. So wie quasi jeder Protagonist dieser Szene zumindest oberflächlich über Nietzsche, Jünger und Evola mitreden kann, könnte auch Jónnson zum allgemein akzeptierten Gesprächsstoff zählen, wer weiß? Ich weiß es nicht und will es auch gar nicht wissen. Denn die bei den Neofolkern gepflegte Ästhetik in Bild und Ton gefällt mir meist nicht.
Sicher, es gibt einige ganz nette Stücke auf diesem Sampler aber in Summe ist die Variationsbreite viel zu gering. Man haut ständig in die selbe Kerbe: Theatralik, übergroßer Pathos, Weltschmerz und Melancholie. Textlich geht es meist um die "großen Themen" - zumindest soweit ich es verstehe; mittlerweile scherzen wir im Freundeskreis schon darüber: Unter der Ewigkeit machen die's nicht. Diese Musik hat immer etwas vom Jammern eines alten Menschen darüber, wie früher alles besser war oder dem Vortrag eines Oberlehrers, der weiß, was wichtig und richtig ist und was nicht. Da fehlt jeder Schwung, jede verrückte Idee, alles Spielerische, jede noch so schwache Note von Rebellion. Normalerweise kann ich solch eine CD am Stück nicht ertragen. Deshalb liegt der Tonträger auch schon ein Jahr im Schrank, bevor ich ihn nun etwas genauer untersuche.

Kommen wir zu CD eins, die hauptsächlich dem Neofolk gewidmet ist. Bestreiten lässt sich nicht, dass es einige wirklich gute Musiker in der Szene gibt. Belborn zum Beispiel beherrschen ihr Handwerk. "Der Morgen" findet auch deshalb meine Zustimmung, weil hier nicht gesungen wird. Denn auch das ist eine Besonderheit des Genres: Nirgendwo sonst (außer vielleicht bei DSDS) gibt es so viele Stimmakrobaten, die ihre Fähigkeiten so gnadenlos überschätzen. Ein beredtes Beispiel dafür ist der Beitrag von Aeldaborn. Der Kollege Sänger liegt immer knapp aber konsequent neben dem Ton, dazu gibt es das übliche Zwei-Akkorde-Geschrammel. Das tut einfach nur weh, ebenso wie das schiefe Gejaule von Frau Agnivolok. Wenigstens stimmt dort die stimmungsvolle Hintergrundmusik. Ohne die wäre "Sculptor" ein Anwärter für die Skip-Taste.
Nervend am neofolkloristischen Liedgut sind zudem die Bezüge zur ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. H.E.R.R. und Von Thronstahl verwenden in ihrem Stück ein Sample, das gut und gerne aus dem Dritten Reich stammen könnte, ohne dass sich dies jedoch konkret festmachen lässt. Vielleicht stammt der Schnipsel auch aus den Zwanziger Jahren, der Tonfall ist jedoch der gleiche. Passend dazu das pathetische Geschwafel von Herrn Klumb, der sich ja immer wieder gern als unkonventioneller Denker darstellt, in Wirklichkeit aber vor allem rückwärts gewandt orientiert ist. Kammer Sieben kam man dies zwar nicht vorwerfen, dafür geben sie in Text und Ton eine Blaupause für all die neofolkloristischen Perlen ab, die unfreiwillig komisch wirken. Das ist, als wenn ein fünfjähriger Junge über den Schmerz einer verlorenen Liebe singt. Man kann das zwar gut finden, glaubwürdig wird es davon jedoch nicht.
Wollen wir die Kritik nicht weiter ausdehnen und ein Fazit ziehen: Aus meiner Sicht ist "Grief" keine CD, die unbedingt in meinem Plattenschrank stehen muss. Es gibt eigentlich nur ein einziges Stück, von dem ich behaupten könnte, dass es mir gefällt. Zwar ist auch Horologiums "Fate" ziemlich theatralisch und sehr martialisch, doch zumindest hebt es sich aufgrund seiner kraftvollen, neoklassischen Klänge etwas aus dem Einheitsbrei heraus. Dankbarerweise haben die Musiker auch auf Gesang verzichtet und dafür ein witziges Sample verwendet. Die Szenejünger werden mich aufgrund meiner Meinungsäußerung sicher einen ignoranten Idioten schimpfen aber damit kann ich leben. Ich habe keine Lust, mir mein Gehör mit solchen Schmachtfetzen zu verkleistern.

Etwas versöhnlicher stimmt mich CD 2, "Birds Of Prey" betitelt, auf der vor allem ambiente Projekte versammelt sind. Der "Brüller" ist aber auch hier nicht dabei. Alles nette Musik, die man nebenher laufen lassen kann und die nicht stört - aber das ist nun wirklich kein Kriterium für große Kunst. Das erste Mal "wach" werde ich bei Wach, denn der sehr martialische Sound sticht doch aus dem restlichen, wenig aufregendem Klangbild heraus. Auffällig sind auch die "Gewissensbisse" von Gandolfs Gedanken (seltsamer Name!), vor allem Dank des verwendeten Samples, welches ich zwar nicht einsortieren kann, das aber zumindest nicht zu klischeehaft ist. Der zweite Beitrag der Gruppe ist etwas zurückhaltender. Auffällig ist auch der Beitrag Gregorio Bardinis, verwendet der Italiener doch Harfe und eine von mir nicht näher zu bestimmenden Flöte. Schade nur, dass er mit diesem Instrumentarium recht harmlose, esoterisch-romantische Klänge zaubert. Der Echo West-Track ist sehr düster und ein Stück weit martialisch, wirklich beeindruckend ist er leider auch nicht.

Titel CD 1 (Grief):
1. Belborn - Der Morgen
2. Cold Fusion - May Be Another Way
3. Storm Of Capricorn
4. Larrnakh - Island On Island
5. Westwind - Grief
6. Weihan - Útlagar
7. Zebaoth - Drought Now
8. Catawana - Have No Options (This Is A Dream)
9. H.E.R.R. / Von Thronstahl - Liberating Spirit
10. Aeldaborn - Morning
11. Kammer Sieben - Ihr
12. Horologium - Fate
13. Agnivolok - Sculptor
14. Rukkanor - Epitaph

Titel CD 2 (Birds Of Prey):
1. Artefactum - Symbolism
2. Hoarfrost - Insanus
3. Kadaver feat. Refuse To Die - Furnerals Of Tomorrow
4. Rose Rovine E Amanti - Violini E Rose
5. Wach - March Of The Sleepless
6. Simulacra - The Wave Of The Ages
7. Gandolfs Gedanken - Gewissensbisse
8. Shining Vril - Figure I
9. Gregorio Bardini - Cobra
10. Gandolfs Gedanken - Funkenflug
11. Sitra Ahra - The Scorching Breath
12. Echo West - Begräbnis/Sunrising Afterwards
13. Bisclaveret - Engill Ljssins
14. Objekt4 - Alda Aldanna


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