Tonwellenkonferenz 2
26. und 27. Juni 2009, Megaphon, Burscheid

Where the fuck is Burscheid? Zum Glück blieb genügend Zeit, diese Frage zu klären, denn Zeitpunkt und Ort der zweiten Tonwellenkonferenz standen schon lange fest. Stöfi, Mastermind von Atrox lud in das nahe bei Leverkusen gelegene kleine Städtchen ein, genauer gesagt in den Jugendklub Megaphon. Wie also da hinkommen? Da ich selbst über kein Automobil verfüge und der Bahn kein Geld in den Rachen schieben wollte und konnte, entschied ich mich für eine Mitfahrgelegenheit bis Remscheid, von wo aus mich ein Freund abholen wollte. 14 Uhr ging es in Dresden los, gegen 18.30 Uhr sollten wir da sein. Dass es dann doch mehr als anderthalb Stunden länger dauerte, lag an einem Stau, der uns keine 30 Kilometer vor dem Ziel ereilte. Erschwerend kam hinzu, dass es während der ganzen Fahrt nur ein einziges Thema in den dümmlichen Radiosendern gab, denn der 26. Juni war der Tag, an dem die Botschaft vom Ableben Herr Jacksons um die Welt ging (gestorben war er schon in der Nacht zuvor).
Nachdem wir den Stau endlich passiert hatten, gab der ansonsten recht umsichtige Fahrer noch einmal richtig Gas. Bei 160 km/h, scharfer Rechtskurve und 600 Meter bis zur Abfahrt schloss ich die Augen und bat den lieben Gott darum, dass er Gnade mit mir habe. Mag sein, dass ich ein Schisser bin aber irgendwie hänge ich doch am Leben…
Lange Vorrede, kurzer Sinn wir erreichten das Ziel gegen 20.30h gerade noch rechtzeitig, um ein Bier zur Hand zu nehmen - das gab es übrigens in kinderfreundlicher Verpackung zu ebensolchen Preisen - und den Frust der Straßenabenteuer zum PowerNoise von MEZIRE abzubauen. Der energetische Auftritt der sympathischen Berliner, war genau das, was ich nach dem ganzen Gesitze und Jackson-Gelaber brauchte. Eine Wall of Sound, die einen jeden Moment zu erschlagen droht, Kratzen, Schmirgeln und Elektronenzwitschern zum Hirnerweichen und dazu wütend ins Publikum geschrieene Parolen - yeah!, "This is the last war"!
Nach dem der letzte Ton verklungen war, nutzte ich erst einmal die Gelegenheit, das Haus zu inspizieren. Die Konzerte fanden unterm Dach in einem angeschrägten, schwarz ausgekleideten Raum statt, der vielleicht - dank einer etwas unglücklich aufgestellten Bar - hundert Besucher fasste. In meiner Erinnerung war der Saal aber nur ganz selten einmal richtig gefüllt, was auch an der zum Teil unerträglichen Wärme unterm Dach gelegen haben dürfte. Im Erdgeschoß befand sich eine recht großzügige Bar, wo auch die Merchandising-Stände aufgebaut waren, ein abtrennbarer Raum, der als Backstage diente und ein Sanitärtrakt. Viele Gäste hielten sich aber zumindest in den Pausen vor der Tür auf, zumindest solange es nicht allzu schlimm regnete. Der Vorplatz war an diesem Freitag von reichlich Jungvolk übersät, das irgendwo in der Nähe feierte. Die Begegnung der adoeszenten Dorfbevölkerung mit den zumeist recht militant gekleideten Noise-Freaks entbehrte nicht einer gewissen Komik. Ich für meinen Teil war froh, den ganzen Abend nicht nur alte Männer sehen zu müssen :-)
Kommen wir aber zurück zu den Konzerten: Es folgten FLUTWACHT, die ich bereits zum zweiten Mal sehen durfte. Live macht die Musik doppelt so viel Spaß, sieht man doch auf welchem Blech der Herr Musiker rumkratzt und welches Gerät er malträtiert. Optisch am beeindruckendsten war natürlich die Einlage mit der Flex, die Funken aus einem Blech schlug. Der Sound war - wie das Instrumentarium es versprach - roh, ungeschliffen und schön krawallig. Sehr angenehm das Ganze!

Es folgten SATORI aus England, deren Sound sich grob als angenoister Dark Ambient beschreiben lässt. Die beiden Herren standen bei der Präsentation ihrer Klanglandschaften hinter ihren Labtops und klickerten mit der Mouse herum, während im Hintergrund Videos liefen - deren Inhalt ich aber leider verdrängt habe. Insgesamt also "same procedure as last year, same procedure as every year" oder anders ausgedrückt: sehr angenehme Musik, die man aber nicht unbedingt live sehen muss.
Bei ATROX gab es in dieser Hinsicht nichts zu meckern. Nicht nur, dass Gastgeber Stöfi eine echte Stimmungskanone ist, der seine Auftritte immer als Feier inszeniert. Für das Optische gab's allerlei auch schräge elektronische Geräte und Klangerzeuger, die live bedient wurden, wenn auch manches en detail bei all dem Nebel, Strobo- und Lasergewitter nicht immer was zu erkennen war. Verstärkt um Jörg von Antracot legte Atrox wieder eine fette Show mit einem wilden Potpourri von Rhythmus, reinem Noise, Ambient und Industrial hin, mal zum mitwippen, mal zum Kopf wegballern. Es macht immer wieder Spaß, das zu sehen und zu hören.
Den Abend beschloss WILLIAM BENNET, der sich anders als bei Whitehouse hinter seinem Labtop verkroch und daraus allerhand nicht ganz untypische Sounds hervorlockte. Ohne die Vocal-Ausbrüche des Engländers war das aber nur die halbe Miete. Gegen Ende seines Sets bereicherte Mary, ein an Twiggy gemahnendes Mägdelein den Auftritt mit ihren Rezitationen und ganz zum Schluss legten die beiden gar eine Art obskures Ballet in Nebel und Noisegewitter hin. Trotz dieses Highlights waren die Fans einigermaßen enttäuscht.

Der Rest des Abends bis zur befohlenen Räumung des Megaphons verbrachten wir mit Gelaber und Getränkekonsum. Dankbarerweise durften wir im Backstage noch die restliche Künstlerverpflegung vernichten. Da fiel mir erst mal auf, was für einen Hunger ich hatte…

Die Nacht und den Großteil des Tages verbrachten wir in einer nahe gelegenen, schnuckeligen und recht preiswerten Pension. Zwar wollte ich eigentlich ein wenig die Gegend erkunden aber es gab solch einen erbärmlichen Regen, dass ich die Unterhaltung durch den Fernsehapparat bevorzugte und noch mal schlief, um am Abend gut ausgeruht erneut das Megaphon entern zu können, das diesmal fest in der Hand der Krachfetischisten war.


Tag zwei begann mit PHELIOS & STRIETZEL, zwei junge Männer, die mit Labtop, Keyboard, Theremin und Effektgeräten bewaffnet einen sehr angenehmen, leicht martialischen Dark Ambient boten. Dabei wirkten die Herren gar nicht so finster, wie viele Kollegen - ihnen schien es wirklich auf die Musik anzukommen und nicht auf irgendwelche Botschaften - ist doch auch mal schon. Ein klein wenig erinnerte es mich an Inade, auch dank des Weltall-Videos im Hintergrund.
Weiter ging es mit einem meiner Highlights, und zwar mit N.STRAHL.N. Nun hatte ich von dem Projekt schon allerhand gehört, es aber noch nie live gesehen. Ich war also sehr gespannt und wurde dann auch nicht überrascht. Dem Künstler, der sich später beim persönlichen Gespräch als sehr angenehmer, bescheidener Mensch zeigte, gelang es, auch auf der Bühne seine vielfältigen, abwechslungsreichen Klanglandschaften aufzubauen, die sich am besten vielleicht als eine Art Tonskulptur vorstellen lassen. Sehr konzentriert baute Mario Löhr seine Werke auf, schichtete verschiedene Strukturen übereinander und ließ sich dabei all die Zeit, die er brauchte. So sollte es sein; die Welt ist eh schon schnell genug.
IRIKARAH boten dazu einen harten Kontrast. Fette Noisewände brachen über dem Zuhörer zusammen. Der Terminus PowerNoise war dafür fast noch untertrieben. Es schmirgelte, krächzte und kratzte, dass es eine wahre Freude war. Da der Künstler diesmal allein auftrat, kam der vokale Anteil leider etwas kurz. Im hinteren Teil des Sets wurden Irikarah auch immer lauter, so dass ich irgendwann den Raum verlassen muss. Auch kam der Herr nicht zum Ende, was den Fan freut, den Veranstalter aber die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Da Code 243 ausfielen - aus meiner Sicht kein allzu großer Verlust - war das aber nicht ganz so schlimm.
Es folgten MINAMATA aus Frankreich. Das Projekt von Philippe Escartin (La Nomenklatur) kam an diesem Abend dem, was man sich unter Industrial vorstellt am nächsten. Monotone Sounds, ohne allzu dominanten Rhythmus, verstörende Klänge, großartige Videoprojektionen, passendes Outfit. Es war nicht wirklich schlimm, dass der Sound vollständig aus der Konserve kam, dafür übernahm der Künstler die Steuerung der visuellen Effekte. Ein sehr schöner Auftritt, der zu dritt oder viert mit Liveanteil sicher noch überzeugender gewesen wäre.
Es folgte eine längere Umbaupause und danach HIJOKAIDAN mit Manni Neumeier (Guru Guru) an den Drums. Was die Japaner boten, neben Merzbow ist Hijokaidan die dienstälteste Noiseband aus dem Land der aufgehenden Sonne, ließ selbst die hartgesottenen Noisefans nicht kalt. Die eine Hälfte trollte sich ob des gestörten Free Jazzes auf der Stelle, die anderen, darunter auch optisch eher dem Jazz zuzuordnende Zuschauer, feierten die wilden Aus- und Umbrüche euphorisch. Leider musste ich gehen, denn mein Auto in Richtung Heimat fuhr kurz nach ein - an dieser Stelle Dank an die Jungs von Mezire, die mich mitnahmen.

Fazit:
Ein sehr schönes und abwechslungsreiches Festival im "engsten Familienkreis". Wenn beim nächsten Mal das Wetter besser ist, seh ich vielleicht auch mal was von der Gegend…

Bilder

Bilder von Martyn Flesh bei Flickr

 

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