Elektroanschlag 11
26. und 27. März 2010, Alte Brauerei, Altenburg

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In Altenburg an kam ich am Freitagabend, gegen acht oder neun. Eine schreckliche Autobahnfahrt lag hinter mir und ich hasste die "moderne" Welt wieder aus vollstem Herzen. In solch einer Verfassung sollte ich eigentlich nicht auf Konzerte mit lauter elektronischer Musik gehen. Aber genau dafür war ich ja nach Altenburggekommen! 16Pad Noise Terrorist, die mir bei ihrem Auftritt in Dresden gefallen hatten und die Kumpels von nogo!, Spaß-Seitenprojekt der Dresdner Formation HeimstattYipotash oder vielleicht doch deren lustigere Hälfte, hatte ich verpasst. Na super! Keine Freiheit für den Mars!
Die Ersten, die ich erleben durfte, waren Baxter Lilly. Industrial Breakcore, Live Electronic, so wie es auf der MS-Seite der Band steht - das passt schon ganz gut als Beschreibung. Man könnte es auch für eine etwas härtere Form des Dark Electro halten. Ganz OK aber sehr kalt. Was natürlich durch die Livepräsenz aufgehoben wurde, mein Film war's auf jeden Fall nicht. Mir fehlte die Abwechslung und auch das "menschliche Element".
Das gibt's bei Sperical Disrupted in Form von Mirko Hentrich. Sein musikalisches Hauptprojekt bewegt sich im Umfeld des Ambient, wartet aber auch mit technoiden Referenzen und experimentellen Ausflügen auf. Musik, die auch ohne Aktion und Video zum Zuhören animiert.
S:Cage oder Splintercage ist Stephen Seto aus Toronto, Kanada. Der sehr entspannte Sound mischt verschiedenste elektronische Stile miteinander. Das wird manchmal ambient, manchmal sehr "trippy", dann wieder etwas esoterisch angehaucht. Lohnt auf jeden Fall, da noch mal ein Ohr zu riskieren.
Noch während S:Cage spielten, verließ ich den Ort des Geschehens und war erst wieder zur Stelle, als Oil10 auftraten. Schade - wenn ich mir Subheim so anhöre, dann hätte das ein hübsches Konzert werden können. Aber wohl besser eins mit Sesseln und zum Kopfnicken. Na und 13th Monkey sind gut tanzbar - mir persönlich sind die Rhythmen aber eher zu straight. Ich bin aus meiner Jugend komplett Technogeschädigt.
Nun gut, wir waren bei Oil10: ein französisches Einmannprojekt, ein junger Mann, der hinter seinen Rechnern stehend, das Publikum zum Tanzen bringt. Aus meiner Sicht eher wenig spannend, wenn auch technisch auf hohem Niveau produziert.
Den Headliner des Abends gaben Dirk Ivens und Eric Van Wonterghem als Absolut Body Control. Das Projekt kommt mit einfachen Rhythmen, Synthieplings und -flächen und einem eher zart-depressiven denn aggressiven Gesangsstil daher. Hier kann man ohne schlechtes Gewissen von "80ies Charme" sprechen.

" Is it art? - No, it´s worse!" lautet ein Sinnspruch auf der MS-Seite des Melodic Abortion Orchestra. Und da kann ich nur zustimmen. Das Trio M.A.O. pflegt einen ordentlichen Punk-Style mit einem omnipräsenten Sänger, der alles gibt und einem großartigen Drummer, der perfekt spielt aber auch immer wieder überrascht. Mann Nummer drei verschwindet unterm Kapuzenshirt und hinter seiner Elektronik, die das Gerüst des maoistischen Klangwerks bildet. Die Erlanger sind live einfach großartig, denn sie präsentieren ihre Musik mit viel Energie und Herzblut. Für mich eines der Highlights des Festivals!
Frl. Linientreu konnte mich an diesem Abend nicht allzu lange im Haus halten. Sehr schöne, dunkle Musik mit Ambient und rituellen Beats oder kosmische Kälte - Frl. Linientreu kann Beides. Aber auch hier möchte man am liebsten in seinem Ohrensessel sitzen und das Kopfkino einschalten. Live äußerst schwierig…
Dann folgte das "Phoenix Movie", dessen Inhalt ich schon wieder vergessen hab - aber die DVD befindet sich noch in meinem Besitz, vielleicht schau ich mir's noch mal an. In Erinnerung blieben vor allem die heißen 3D-Brillen und die albernen Bilder, die wir beim Tragen selbiger von uns gemacht haben.
Dann folgte für mich der absolute Höhepunkt des Festivals, der Auftritt der belgischen Militia. Das war schon das dritte Mal, dass ich einem dieser Ereignisse beiwohnen durfte. Allein die Massen an Stahl auf der Bühne ließen Niemanden kalt - ein Trennschleifer sorgte später für zusätzliche optische Reize. Wenn mehrere Musiker auf all den Rohren, Tonnen und Gasflaschen gekonnt trommeln, wie Militia es tun, dann muss man schon einen Hüftschaden haben, um stehen bleiben zu können oder zu müssen. Doch anders als z.B. Les Tambours du Bronx ist hier die Elektronik der industriellen Kultur und nicht der Tanzkultur zuzuordnen. Sie dient der elektronischen Verstärkung der parolenhaften Texte, die eine anarchistische Vision von einer brüder/schwesterlichen Menschheit ins Publikum brüllen. Ökoanarchismus heißt diese Vision, um genau zu sein: Ein Gedanke, der weiter geht und auch die Natur als integralen Bestandteil des Menschen begreift und damit jede "Versündigung" gegen die Natur als autodestruktiv bekämpft. Gute Idee! 2012 ahead. Dass man angesichts apokalyptischer Visionen nicht gleich ins Koma oder in die Angststarre verfällt, erreichen Militia durch die positive Energie ihres Vortrags. Da ist von Aggression nichts zu spüren, nur von Kraft und Zielstrebigkeit. Davon braucht die Welt sicher mehr!
Raoul Sinier hatte es danach schwer. Ich hab mir sein Konzert zwar angeschaut und auch ausgiebig fotografiert aber so recht warm wurde ich nicht mit dem Sound des Franzosen. Nichts wirklich überzeugend diese Melange aus clubtauglichen und ambienten Versatzstücken.
Zugegebenermaßen war ich mit meinen Gedanken auch schon bei Control, einem der besten PowerElectronics-Projekte aus den Staaten. Thomas Garrison aus Seattle produziert am laufenden Band echte Gehirnsägen, die mal langsam schleppend, mal krampfhaft zuckend durch die weiche Masse gleiten. Hohe Kunst der Psychoakustik und die ideale Musik, um Aggressionen abzubauen. Andere hören halt AC/DC…
Nach diesem erneuten Höhepunkt ließ ich den Rest des Abends sausen und verdrückte mich in mein Zelt. Eine Folge des Alters? Eher nicht. Nur die Angst vor dem Overflow.

Sehr schönes Festival, wie immer.

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